Gray Kiss (German Edition)
setzte mich an meine Kommode und bürstete mir meine langen wilden Haare. Ich hatte eigentlich vor, sie mir auf eine praktischere Länge schneiden zu lassen, damit ich sie nicht dauernd zu einem Pferdeschwanz zusammenbinden musste, jedoch hatte ich es bis jetzt noch nicht geschafft.
Lange starrte ich mein Spiegelbild an und suchte nach Hinweisen auf meine übernatürlichen Fähigkeiten. Ich vermutete, dass man es in meinen Augen erkennen konnte, aber sie sahen aus wie immer. Braun. Und momentan ängstlich.
Im Zimmer war es stickig. Ich hatte die Heizung aufgedreht, als ich nach Hause gekommen war, und brauchte jetzt trotz meines ständigen Frierens dringend frische Luft. Ich trat ans Fenster, öffnete es und atmete tief ein. Ich fröstelte, aber die kalte Oktoberluft sorgte wenigstens dafür, dass der Nebel in meinem Kopf sich lichtete.
Ich drehte mich zu meinem Bett um und wollte die Decke holen, doch in der Mitte der Bewegung erstarrte ich.
Seit ich daheim war, hatte sich mein Hunger auf einem erträglichen Level eingependelt - und schoss plötzlich wieder in die Höhe. Ich hielt den Atem an, sowie ich seine Gegenwart spürte.
„Du solltest das Fenster nicht offen lassen“, ermahnte Bishop mich. „Da kann ja jeder einsteigen.“
Ich fuhr herum. Da stand er leibhaftig, vor dem geöffneten Fenster, beschienen vom Mondlicht.
Ein gut aussehender, blauäugiger, einsneunzig großer Todesengel befand sich in meinem Schlafzimmer.
Ich rang nach Worten, wollte irgendetwas sagen. Mein Puls raste. „Wie konntest du …“ Ich deutete auf das Fenster hinter ihm. Meine dünnen Vorhänge flatterten in der kühlen Brise. „Das ist der erste Stock, und da draußen ist kein Baum oder keine Leiter.“
Meine Reaktion brachte ihn zum Lächeln - ein Lächeln, das mich mitten ins Herz traf. „Ich habe einige verborgene Talente.“
Sein musternder Blick wanderte über meine Kleidung - beziehungsweise meine fehlende Kleidung. Ich wurde knallrot. Ich war zwar nicht nackt, aber ich trug nur ein knappes Tanktop und Schlafshorts, die nicht gerade viel bedeckten.
Am liebsten hätte ich die Arme vor der Brust verschränkt. Nicht, dass es viel vor seinen Augen zu verbergen gegeben hätte. „Was machst du hier?“
Es klang unhöflicher als gewollt. Es freute mich, ihn zu sehen, aber nach meiner Unterhaltung mit Cassandra und ihrer Warnung wollte ich nicht, dass er das merkte. Mit Bishop allein zu sein war gefährlich. Es löste einen unermesslichen Hunger in mir aus.
Er sollte nicht hier sein, und das war ihm auch bewusst.
Und trotzdem war er da.
Jetzt schaute er wieder mein Gesicht an. Es dauerte einen Moment, bis er redete, und eine unangenehme Stille entstand. „Ich wollte nur kurz nach dir schauen. Ob es dir gut geht.“
Ich warf einen raschen Blick über meine Schulter, um zu checken, ob die Zimmertür geschlossen war. „Leise, sonst hört Cassandra uns.“
Er kam nicht näher, sondern verharrte am Fenster So hatte ich mich einigermaßen unter Kontrolle. „Sie weiß, was zwischen uns … passiert ist. Hat sie dir das erzählt?“
Ich nickte. „Aber ich wusste es schon.“
Er sah mir direkt in die Augen, fragend. Dann lächelte er wieder. „Ich bin nicht besonders glücklich über dieses Spionage-Talent, das du besitzt.“
Ich biss mir auf die Unterlippe. Inzwischen war mir so kalt, dass ich eine Gänsehaut hatte. Zitternd fuhr ich mir über die Arme. „Ich kann das leider nicht kontrollieren. Es geschieht einfach.“
Er schloss das Fenster. „Was hast du noch gehört?“
Tausend verschiedene Emotionen rauschten durch meinen Kopf. Ich wollte sie unterdrücken, mein Pokerface behalten und so tun, als könnte mich nichts belasten. Nur schade, dass mich in letzter Zeit alles belastete. Mein analytischer und nüchterner Blick auf die Welt um mich herum war verschwunden. Jetzt war ich einfach nur noch unfassbar verletzlich.
Bishop belastete mich. Manchmal vergaß ich, wie sehr - immer wenn er nicht in meiner Nähe war. Doch sein Duft, seine Anwesenheit, seine Wärme - all das zog mich unwahrscheinlich an. Ich wollte die wenigen Meter zwischen ihm und mir überbrücken, die Arme um ihn schlingen und ihn leidenschaftlich küssen. Es war ein Trieb wie Essen oder Schlafen - ein Urinstinkt, gegen den ich machtlos war.
Ich hielt mich an meinem Bett fest und krallte meine Fingernägel in das weiche Holz, um ruhig zu bleiben. „Du hast gesagt … was du für mich empfindest, ist … ist nur eine ungelegene Sucht.“
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