Green, Simon R. - Todtsteltzers Erbe
Stühlen ausgestreckt, sodass sie einan
der an den Händen fassen konnten. Sie hielten sich
jetzt schon so lange an den Händen, dass das Fleisch
miteinander verwachsen war, über jede Hoffnung auf
Trennung hinaus. Brett wurde es ernsthaft schlecht.
Wie lange saßen diese Gestalten schon hier, während
graue und rosafarbene Materie aus ihnen spross und
sie sich von den armen Trotteln nährten, die zu Be
such kamen?
Wir sind die Spinnenharfen, sagte eine von ihnen,
oder vielleicht sagten es auch alle beide, und die
Worte hallten und dröhnten in Bretts und Roses Köp
fen wie die Stimmen von Toten. Die Worte klangen
leise und verdorben, das akustische Gegenstück fau
len Obstes, als wären alle üblen Absichten zusam
mengelaufen und auch noch stolz darauf.
Wir sprechen für die Elfen. Redet mit uns, kleine
Menschen. Seid kühn und wortgewandt, und viel
leicht … laden wir euch anschließend zum Abendes
sen ein.
Brett hätte auf der Stelle kehrtgemacht und wäre
ausgerissen, und zur Hölle mit Finn – wäre er nicht
in Begleitung von Rose gewesen. Er wusste, dass sie
nicht fliehen würde, und er konnte sie nicht an die
sem schrecklichen Ort zurücklassen. Also überwand
er sich und widmete dem eingesunkenen, ver
schrumpelten Paar vor ihm seine Aufmerksamkeit,
damit er nicht das Hirnnetz ansehen musste oder die
halb verschlungenen Leichen, die über ihm und
ringsherum hingen. Beide Gestalten waren so alt und
so runzelig und so eingefallen, dass man unmöglich
das Geschlecht erkennen konnte. Falls sie jemals
Kleider getragen hatten, waren diese schon vor lan
ger Zeit verrottet und heruntergefallen. Und obwohl
ihre Gesichter tot waren, zeigten die Augen viel Le
ben und Bewusstsein. Brett holte tief Luft, wünschte
sich gleich, er hätte es nicht getan, als ihm der Ge
stank wieder voll bewusst wurde, und machte einen
Anfang:
»Hallo, ich bin Brett Ohnesorg, und das ist Rose
Konstantin. Wir sprechen für Finn Durandal. Bitte
bringt uns nicht um, ehe Ihr uns nicht zu Ende ange
hört habt. Faszinierende Stätte habt Ihr hier. Toll,
was Ihr daraus gemacht habt. Wie … lange seid Ihr
schon hier unten?«
Schon sehr, sehr lange, kleiner Ohnesorg. Seit uns
die Mater Mundi geschaffen, uns aus dem bescheide
nen Ton gewöhnlicher Esper geformt hat. Es hat uns
so wehgetan, aber wer waren wir, dass wir mit der
Mutter Aller Seelen hätten richten können? Sie hat
uns hier untergebracht, versteckt hinter dem geisti
gen Chaos so vieler fremder Lebewesen, damit wir
für sie nachdenken und rechnen und Probleme lösen.
Wenn Probleme zu schwierig für uns wurden, wuch
sen wir, um sie doch lösen zu können. Wir waren die
Hirne der Mater Mundi, ihre Kreaturen, geschaffen,
um ihren Zwecken zu dienen. Natürlich war das noch
damals zur Zeit des Löwen, in der großen alten Zeit
des Imperiums, als die Lage erst anfing, sich zu ver
schlechtern. Aber die Mater Mundi wusste es schon
damals. Sie sah, was kommen würde, also stellte sie
Waffen her, lebendige Waffen, höllische Apparatu
ren, um sie gegen jene einzusetzen, die sich ihr ent
gegenstellen wollten. Aber etwas ging schief. Die
Mater Mundi erwachte nie vollständig, bis es längst
zu spät war. Jetzt ist sie dahingegangen, und nur wir
bleiben. Wir dienen heute den Elfen, denn unsere Na
tur zwingt uns, jemandem zu dienen, und wir warten
schon so furchtbar lange auf Vergeltung …
»Der Löwe …«, sagte Brett leise zu Rose. »Lö
wensteins Großvater! Jesus, sie sind seit Jahrhunder
ten hier … sind gewachsen und haben sich ausge
breitet …«
»Weshalb die Leichen?«, fragte Rose die Spin
nenharfen mit der gewohnten Unverblümtheit.
Wir können diesen Raum nicht verlassen. Und wir
sind immer hungrig. Wachstum benötigt Nahrung.
Gewebe muss ergänzt werden. Lauft nicht davon,
kleiner Ohnesorg. Wir sind, wozu wir von jemandem
gemacht wurden, der viel größer ist als irgend je
mand von uns. Wir haben zu unserer Zeit Wunder
gewirkt. Unsere Gedanken sind Pfaden gefolgt, die
für bloße Menschen unergründlich bleiben. Die Elfen
begreifen. Wir möchten nicht, dass die Überseele uns
findet. Sie würde uns retten wollen. Uns wieder zur
Vernunft bringen wollen. Uns trennen wollen. Lieber
würden wir sterben. Wir sind großartig und wunder
voll, und wir lassen uns unsere so lange versagt ge
bliebene Rache, unseren lange hinausgezögerten
Triumph nicht rauben.
»Das wird ja laufend besser«, fand Brett. »In Ord
nung, warum Spinnenharfen?«
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