Green, Simon R. - Todtsteltzers Erbe
dieser Tür
lauerte, er wusste einfach, dass er es lieber nicht se
hen wollte. Er warf Rose einen fast verzweifelten
Blick zu. Sie hielt einen Disruptor in der Hand, ob
wohl Finn ihr verboten hatte, irgendwelche Waffen
mitzunehmen. Brett zwang sich, ruhiger zu atmen,
der erste Schritt, sich zu beherrschen. Die erste Regel
des Gauners: Zeige deiner Beute nie, wie nervös du
bist! Verrate nie, wie viel es dir bedeutet, den Deal
zu machen.
»Wie es scheint, erwartet man uns«, sagte Rose
gelassen. »Treten wir doch ein und sagen hallo!«
»Nach Euch«, sagte Brett.
Rose schritt majestätisch in die Düsternis hinter
der Tür, und Brett schlenderte ihr nach. Drinnen er
wartete ihn Schlimmeres, als er erwartet hatte.
Schlimmeres, als er sich überhaupt hätte ausmalen
können. Das bisschen Zuversicht, das er wieder hatte
zusammenraffen können, löste sich sofort auf. Der
Raum hätte eine Höhle sein können, aus massivem
Gestein gehauen. Er hätte auch eine alte Lagerhalle
sein können, die seit langem leer stand. Er hätte ein
Vorzimmer zur Hölle sein können. Man konnte un
möglich feststellen, wie groß er nun genau war, denn
er war völlig mit Netzen vollgestopft und durchwebt.
Dicke graue und rosa Stränge zogen sich von einer
Wand zur anderen und vom Boden bis zur Decke
und kreuzten einander und verschlangen sich inein
ander zu feinen, komplexen Mustern, so verworren
und vielgestaltig, dass sie einen Hauch von Grenzen
losigkeit verbreiteten. Die Leichen von Menschen
hingen hier und dort auf unterschiedlichen Höhen im
Netz. Manche waren halb aufgefressen, und die
schartigen Enden weißer, zerbrochener Knochen rag
ten aus blassrotem Fleisch. Man erblickte auch älte
re, stärker mumifizierte Überreste und hier und dort
Knäuel aus nacktem Gebein, eng zusammengewi
ckelt. In einer Ecke hatte man Menschenschädel auf
gehäuft; sie waren sauber abgenagt und mit Netzres
ten verklebt und reichten bis fast zur kaum erkennba
ren Decke hinauf. Die Atmosphäre war dick von Tod
und Verwesung und fast nicht zu atmen. Und überall
vibrierten die rosafarbenen und grauen Stränge sach
te und fortwährend und blieben nie ganz reglos.
Ein schmaler Tunnel war offen gelassen worden,
eine Lücke in den Netzen, und führte von der Tür zur
Mitte des Raumes oder des Saals oder was immer
das hier zum Teufel mal gewesen war. Dort saßen
die einzigen lebenden Bewohner nebeneinander auf
altmodischen Stühlen. Netzstränge zogen sich auch
über sie hinweg und klebten an ihnen. Man sah so
fort, dass sich keines dieser Wesen seit langer Zeit
mehr von den Stühlen fortbewegt hatte.
Rose ging schnurstracks auf sie zu, hinein in den
Netztunnel, und so musste Brett ihr natürlich folgen.
Tief in ihm schrie etwas lauthals. Der Tunnel zwi
schen den Strängen war gerade breit genug, damit sie
beide nebeneinander hergehen konnten. Brett drückte
sich die Arme fest an die Flanken, damit er auf kei
nen Fall damit an den rosafarbenen und grauen
Strängen entlangstrich.
Die beiden Gestalten, die totenstill auf den uralten
Stühlen saßen, wirkten umso entsetzlicher, je näher
man ihnen kam. Sie saßen nebeneinander, von
menschlicher Gestalt, aber nicht von menschlicher
Natur. Den eingesunkenen Gesichtern mangelte es an
allem, was einem menschlichen Ausdruck entspro
chen hätte. Die Oberseite der Schädel war schon vor
langer Zeit aufgebrochen worden oder vielleicht auch
aufgeplatzt, und von dort nahmen all diese Netz
stränge ihren Ausgang: Sie wuchsen aus den Köpfen
hervor, Ausläufer der lebendigen Gehirne, im ganzen
Raum ausgebreitetes Bewusstsein, das endlos neu
erzeugt wurde, sich endlos verzweigte und lebendig
war. Brett sah sich erschrocken und mit Übelkeit im
Bauch um, als ihm klar wurde, dass er durch den
Gemeinschaftsverstand der beiden schritt. An den
Verbindungsstellen der Hirngewebe, der nackten,
schlanken, zierlichen Stränge, funkelten Neuronen
und flammten immer wieder auf wie winzige Feuer
werkskörper.
Rose und Brett blieben schließlich vor den beiden
sitzenden Gestalten stehen, und zum ersten Mal be
wegten sich diese beiden völlig gleich aussehenden
Lebewesen und erzeugten dabei trockene raschelnde
Laute wie von knisterndem Papier. Vielleicht beweg
ten sich ihre Augen. Vielleicht verbreiterten sich die
Mundschlitze leicht zu einem Lächeln. Vielleicht
rührten sie sich einfach nur voller Vorfreude … Jeder
der beiden hatte einen nackten Arm über die Lücke
zwischen den
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