Green, Simon R. - Todtsteltzers Erbe
war so
gigantisch und eindrucksvoll, wie er ihn in Erinne
rung hatte, nach wie vor durchdrungen von Ge
schichte und Prunk und Bedeutung – was wohl der
Grund war, warum er ihm mehr als zwanzig Jahre
lang so gewissenhaft ferngeblieben war. Er wurde
nicht gern daran erinnert, dass er nicht nur ein Para
gon war, sondern auch ein Prinz, der einzige Sohn
König Williams. Ein Prinz, der bald zum König ge
krönt werden sollte, ganz und gar gegen seinen Wil
len.
Es war nicht fair.
Erst vierzig Jahre alt, und schon waren die Tage
der Freiheit gezählt. Er hatte schon immer gewusst,
dass der Tag kommen würde; aber wiewohl er ein
räumen musste, dass er über eine natürliche Autorität
verfügte, empfand er von jeher ein stilles Grauen da
vor, Verantwortung zu übernehmen. Ihm war der
Gedanke zuwider, dass Leben und Glück anderer
Mensch von seinen Entscheidungen abhängen könn
ten. Er war dem nicht gewachsen. Dessen war er sich
in der Tiefe seines Herzens gewiss. Sogar nach
zwanzig Jahren als Paragon, in denen er im Namen
des Königs dem Recht Geltung verschaffte … Als
Paragon, draußen im Einsatz, fern des Hofes, war er
glücklich gewesen; dort hatte er den guten Kampf
ausgefochten. Denn selbst die grünsten Wiesen und
die zufriedensten Herden können noch von Wölfen
bedroht werden.
Douglas schätzte die Gewissheiten seines alten
Jobs: die Guten gegen die Bösen, Schwert gegen
Schwert, die Erprobung der eigenen Kraft auf dem
Amboss des eigenen Glaubens an das, was richtig
war; geradlinige Konflikte ohne moralische, philoso
phische oder rechtliche Mehrdeutigkeit. Paragone
wurden nur auf die übelsten und nicht mehr zu be
kehrenden Schurken losgelassen. War er erst König
und Parlamentspräsident, saß er in der durch und
durch heikleren Arena der Politik gefangen, wo sich
der Boden unter den eigenen Füßen ständig änderte
und auf der Grundlage von Kompromissen Abspra
chen erfolgten. Und er, der arme Kerl auf dem gol
denen Thron, sollte der Fels der Gewissheit für alle
anderen sein.
Douglas betrachtete den Thron, auf dem er bald
sitzen sollte, und fragte sich, ob er eigentlich Angst
hatte. Er fürchtete sich niemals, wenn er seine Arbeit
tat, wenn er draußen in der Stadt diejenigen nieder
streckte, die den Frieden bedrohten. Aber König zu
sein, ein lebendes Vorbild für das ganze Imperium
… Als König war er reich, berühmt und mächtig,
und nichts davon wünschte er sich. Alles, was er
wollte, war das, was er nicht haben konnte: einfach
Mensch unter Menschen zu sein. Frei zu sein und das
zu sein, was er aus sich selbst machte.
Douglas Feldglöck, Sohn von William und Niamh,
Enkel von Robert und Konstanze, war groß, breit
schultrig, auf herbe Art gut aussehend, mit entspann
tem Lächeln und ruhigem Blick. Die Augen vom tie
fen Blau eines Sommerhimmels, ein Mund, der fest
blieb, selbst wenn er lächelte. Und eine lange, dichte
Mähne goldenen Haares, von der hohen Stirn zu
rückgekämmt und von einem Silberband gehalten.
Sogar jetzt, wo er still und unbemerkt hier stand, war
er ganz der Krieger, dem die Paragon-Rüstung und
der Purpurumhang wie angegossen saßen. Das
Schwert an einer Hüfte und die Pistole an der ande
ren, und beide waren zu ihrer Zeit ausgiebig benutzt
worden. Douglas bot es Befriedigung, ein geschulter,
echter Kämpfer zu sein, aber zu seinen Gunsten
musste man auch feststellen, dass er sich sehr be
mühte, nicht das Töten zu genießen, das unweiger
lich zu dieser Arbeit gehörte. Man tötete einen Men
schen nur dann, wenn man genau wusste, dass er
nicht mehr zu retten war, und es war schrecklich, ei
ne solche Entscheidung treffen zu müssen.
Gewöhnlich half es, wenn dieser Mensch gleich
zeitig versuchte, einen selbst umzubringen, aber
trotzdem …
Douglas blickte auf seine Rüstung hinab. Der
Brustpanzer wies eine Schramme auf an der Stelle,
wo ihm heute Nachmittag eine Schwertspitze zu na
he gekommen war. Er rieb mit der Hand an der
Schramme und polierte mit einer Hand voll Umhang
nach. Es würde ihm schwer fallen, die praktische
Uniform zugunsten der offiziellen Staatsgewänder
aufzugeben, die er als König tragen musste. Wenigs
tens brauchte er die Krone nicht ständig aufzuhaben.
Sie war aus einem einzelnen Riesendiamanten ge
schnitten und ein schweres Scheißding, das längere
Zeit auf dem Haupt zu tragen fürchterlich lästig war,
wie sein Vater sagte. Es sei denn, er hätte es mal
wieder metaphorisch gemeint. Mit einem
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