Green, Simon R. - Todtsteltzers Rückkehr
vergebens«, sagte
er schließlich. »Alles. Er ist wirklich hier gestorben.«
»Ja, das ist er«, bestätigte Roland. »Aber die Geschichte ist noch nicht vorbei. Sieh weiter zu.«
Der Zeitablauf auf dem schmutzigen kleinen Platz
beschleunigte sich. Die Tiere stahlen Owen alles,
was sich zu stehlen lohnte, und verschwanden wieder
in der Nacht. Die Nebelschwaden trieben mal hierhin, mal dorthin. Owen lag tot im blutigen Schnee,
der edle Körper an vielen Stellen aufgeschlitzt und
durchbohrt und nass vom eigenen Blut. So fanden
ihn die Organpascher. In Nebelhafen florierte in dieser lange zurückliegenden Zeit das Geschäft mit Ersatzteilen für die Transplantationschirurgie. Organbanken waren natürlich illegal, aber das war auch ein
großer Teil der sonstigen Aktivität in Nebelhafen.
Die Körperdiebe schleppten Owens Leiche weg, und
Lewis und Roland folgten ihnen unbemerkt.
Es war nicht weit bis zum Lagerhaus der Organpascher. Sie trugen die Leiche hinein und schlossen
die Tür hinter sich sorgfältig ab. Lewis und Roland
geisterten jedoch ungehindert hindurch und sahen
zu, wie Owens Leiche in einen Kühltank gesteckt
wurde, um sie zu konservieren. Innerhalb weniger
Stunden würden automatische Messer und Sägen sie
in ihre Bestandteile zerlegen, die dann verkauft
werden konnten. Die Körperdiebe lachten miteinander und entfernten sich. Lewis und Roland blickten
ihnen nach. Lewis fühlte sich ausgelaugt und erledigt.
»Und noch immer ist die Geschichte nicht vorbei«,
sagte Roland. »Wenn diese beiden edlen Herren zurückkehren, werden sie feststellen, dass Owens Leiche verschwunden ist. Keine Spur davon wird jemals
irgendwo auftauchen, und niemand wird je erfahren,
was damit passiert ist. Das wird zu einem weiteren
der vielen kleinen Geheimnisse von Nebelwelt. Nun,
die Antwort lautet: Du bist passiert. Oder zumindest
wirst du passieren. Die Zeitreise spielt dem grammatischen Gebrauch der Zeiten schon übel mit!«
Die Szene löste sich auf, und Lewis und Roland
fanden sich im Kern des Labyrinths des Wahnsinns
wieder. Lewis fuhr sich mit dem Ärmel übers Gesicht. Roland lächelte ihn an.
»Du wirst in die Vergangenheit reisen, Lewis, und
du wirst es mit Hilfe des Labyrinths und des Babys
tun. Um eine alte Untat zu sühnen. Du wirst Owen
ins Leben zurückrufen, ihn aus dem Körpertank retten, und dann werdet ihr beide hierher zurückgeholt.«
»Einfach so?«, fragte Lewis. »Der Mann ist tot!
Sie haben ihn in Stücke geschnitten! Nicht mal ein
Regenerationstank würde ihn jetzt noch retten.«
»Owen hat das Labyrinth durchschritten. Er war
wirklich nur schwer umzubringen. Er braucht nur
noch einen kleinen Anstoß vom Labyrinth und von
dir.«
Lewis dachte darüber nach. »Kannst du mich zurückschicken, diesmal in realer Person? Zweihundert
Jahre weit in die Vergangenheit?«
»Die Zeit ist nur eine Dimension unter anderen«,
erklärte Roland ihm. »Nur eine weitere Dimension,
in der man sich bewegt. Mit genügend Energie kann
man überallhin und an jeden Zeitpunkt gelangen.«
»Und ich werde ihn retten können? Ihn … ins Leben zurückholen?«
»Unterschätze niemals die Macht, über die das
Labyrinth des Wahnsinns verfügt, mein Junge. Ich
habe es nicht nach einer Bauanleitung angelegt, die
von Menschen stammte, also unterliegt es auch nicht
menschlicher Begrenzung. Wir schicken dich zurück
nach Nebelhafen hinter den bleichen Horizont, und
du wirst zu dem Zeitpunkt auftauchen, an dem Owen
seinen letzten Atemzug tut. Und dann wirst du tun,
was du tun musst, denn das Labyrinth hat dich schon
verändert, auch wenn du es noch nicht bemerkt hast.
Du wirst im Augenblick seines Todes Owens Bewusstsein bergen – oder seine Seele, wenn dir der
Begriff lieber ist – und es sicher in dir selbst bewahren. Nur ein vom Labyrinth veränderter Todtsteltzer
ist dazu fähig. Du wirst dann das Lagerhaus aufsuchen und die Seele wieder mit dem Körper vereinen,
der sich daraufhin selbst heilt. Und Owen Todtsteltzer wird aufs Neue leben. Sobald du fertig bist, holt
das Labyrinth dich hierher zurück. Ich bin dann nicht
mehr hier; meine Rolle in dieser Geschichte ist ausgespielt. Was auch nur gut so ist, weil mich diese
ganze Angelegenheit regelrecht um den Verstand
bringt.« Roland schenkte Lewis plötzlich ein Lächeln. »Sag jetzt Lebe wohl, Lewis. Denn später findest du keine Gelegenheit mehr dazu.«
»In Ordnung«, sagte Lewis. »Lebe wohl.«
»Lebe wohl, mein Junge.« Roland nahm
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