Gregor und der Spiegel der Wahrheit
aber nicht, wie lange. Wozu solltest du gut sein? Du bist elf Jahre alt. Keiner erwartet von dir, dass du mit deinem Chemiebaukasten ein Mittel gegen die Pest mixt«, sagte Ripred.
Da hatte er recht. Seuchenbekämpfung war normalerweise nicht die Aufgabe von Kriegern, sondern von Ärzten und Wissenschaftlern.
Gregor sah seinen Vater hoffnungsvoll an. »Es ist ja nur eine einzige Besprechung, Dad. Und da kommt keiner, der die Pest hat. Das wär doch nicht so schlimm, oder?«
»Ich weiß nicht, Gregor«, sagte sein Vater kopfschüttelnd.
»Ach, der Krieger kommt schon. Das wissen wir. Nur wegen seiner Schwester machen wir uns Sorgen«, sagte Ripred.
»Warum seid ihr euch so sicher, dass ich komme?«, fragte Gregor.
»Wegen deiner Fledermaus. Dieser großen, trübsinnigen«, sagte Ripred.
»Ares?«, sagte Gregor. »Was hat der denn damit zu tun? Wollen sie ihn etwa verbannen, wenn ich nicht komme?«
»Ich fürchte, es ist schlimmer.« Das Brett, an dem Ripred nagte, spaltete sich in zwei Teile. Er spuckte einige Holzspäne aus und sah Gregor müde an. »Die drei Krankheitsfälle in Regalia – Ares ist einer davon.«
4. Kapitel
O nein«, sagte Gregor leise. Er hatte sich in den letzten Monaten viele schreckliche Sachen vorgestellt, aber darauf war er nicht gekommen. »Wie schlimm steht es um ihn?«
»Schlimm. Er war der erste Fall in Regalia. Man geht davon aus, dass er sich mit der Pest infiziert hat, als er von diesen Mücken im Wasserweg angegriffen wurde. Und dann muss er im Irrgarten die Ratten angesteckt haben«, sagte Ripred.
»Mücken? Ich dachte, die Krankheit befällt nur Warmblüter«, sagte Gregors Vater.
»Ja, aber blutsaugende oder fleischfressende Insekten können den Erreger in sich tragen und ihn an Warmblüter weitergeben«, sagte Ripred.
»Dann wird er also sterben?«, sagte Gregor mit brüchiger Stimme.
»Wir sollten ihn jetzt noch nicht aufgeben«, sagte Ripred. »In Regalia gibt es Medikamente, die wenigstens die Symptome lindern können – das ist schon mehr, als die Ratten haben. Und er ist stark.«
»Das stimmt«, sagte Gregor, jetzt schon etwas optimistischer. »Er ist die stärkste Fledermaus im Unterland. Und er lässt sich nicht unterkriegen. Er wird kämpfen.«
»Ja, er wird versuchen durchzuhalten, weil er glaubt, dass Hilfe naht. Weil er glaubt, der Krieger, der mit ihm verbunden ist, wird kommen. Es wird eine Besprechung geben. Dann beginnt die Suche nach dem Heilmittel. Wenn man ihm allerdings diese Hoffnung rauben würde …« Ripred ließ den Satz absichtlich in der Luft hängen.
»Ich bin dabei, Ripred«, sagte Gregor.
»Aber ohne deine Schwester brauchst du gar nicht erst anzutanzen. Das wär reine Zeitverschwendung. Sandwich zufolge müssen die Krabbler mit von der Partie sein, und die schicken nur unter der Bedingung einen Abgesandten, dass Boots auch kommt«, sagte Ripred.
»Ich weiß nicht, wie ich meine Mutter überreden soll …«, sagte Gregor.
»Deine Mutter. Du kannst deiner Mutter ausrichten, wenn du nicht mit deiner Schwester auftauchst, schicken die Ratten eine Eskorte«, sagte Ripred.
»Was soll das heißen?«, fragte Gregors Vater.
»Das heißt, dass die beiden tunlichst um Mitternacht da sein sollten«, sagte Ripred.
»Aber …«, setzte Gregor an.
Ripred stöhnte auf vor Schmerz und kauerte sich einen Moment zusammen. »Grrr, ich muss irgendwas finden, womit ich meinen Magen füllen kann. Und wenn ich noch länger warten muss, ist einer von euch dran«, knurrte er. »Haut ab! Geht wieder nach Hause! Ihr wisst, was ihr zu tun habt! Also los!«
Ripred drehte sich um und verschwand in den Schatten.
Gregor und sein Vater stiegen wieder hinauf in den Park, stemmten die Steinplatte hoch und zogen sich nach oben. Schnell schoben sie den Stein zurück und gingen zur Straße. »Was sollen wir tun, Dad?«, fragte Gregor, als sie auf dem Gehweg standen und versuchten, ein Taxi anzuhalten.
»Mach dir keine Sorgen, es wird uns schon was einfallen«, sagte sein Vater. »Mach dir einfach keine Sorgen.«
Aber Gregor machte sich große Sorgen, und er merkte, dass es seinem Vater nicht anders ging.
Seine Mutter war gerade von der Arbeit zurück, als sie nach Hause kamen. In ihrer Kellnerinnenkluft saß sie auf dem Sofa, die Füße auf dem Couchtisch. Sie sah erschöpft aus. Sie arbeitete sieben Tage die Woche, ohne Unterbrechung, außer an den ganz großen Feiertagen wie Weihnachten oder Thanksgiving, an denen fast alle freihatten. Sie scherzte
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