Greife nie in ein fallendes Messer
und für steigende US-Dollar-Notierungen sorgten, das wollte keiner auf dem Parkett als Argument für steigende Aktienkurse interpretieren. Genauso wenig wurde mein Hinweis akzeptiert, die weltweiten Krisen seien schon lange bekannt, sie hätten doch bereits am 28. Oktober 1997 zu jenem dramatischen Einbruch am deutschen Aktienmarkt geführt, der sich allerdings im Nachhinein nur als Beginn einer überraschenden Kursrallye entpuppt hatte.
Die Profis an der Börse ließen sich durch derartige Überlegungen in ihrer Skepsis nicht irritieren. Bei einem DAX-Stand von mehr als 5 000 Punkten liege das Kurs-Gewinn-Verhältnis der bekannten Standardwerte mit ihrem normalen Wachstum, bezogen auf die Gewinne des kommenden Jahres, deutlich höher als 20 und damit um 4 bis 5 Punkte zu hoch. Würde man zudem in Kürze die Gewinnschätzungen für das kommende Jahr wegen der zu erwartenden weltweiten Konjunkturdellen nach unten korrigieren, dann bewegten sich die optimistischen Kursvorstellungen der Anleger jenseits jeder Realität. Die deutsche Börse sei ganz einfach deutlich überkauft. Der steile Aufwärtstrend werde sich also in kürzester Zeit in einen ebenso steilen Abwärtstrend verwandeln.
Doch keine Angst, dies sei keineswegs der Anfang vom Ende, sondern lediglich die längst fällige Konsolidierung, beruhigten mich die Analysten, der DAX brauche halt eine Verschnaufpause, um danach, wenn auch in einem gemächlicheren Tempo, die alte aufwärtsgerichtete Spur wieder aufzunehmen. Denn grundsätzlich sei auch bei einem langsameren Wachstum der Weltwirtschaft die Aktie |216| nach wie vor ein erfolgversprechendes Anlageinstrument. Bei einer Fortsetzung der weltweiten Stabilitätspolitik habe die Inflation nur noch eine Außenseiterchance, folglich würden die Zinsen auf ihren derzeitigen Tiefstständen bleiben und dadurch die internationale Liquidität auf lange Sicht in die attraktive Aktienanlage treiben.
Die kurzfristigen Überlegungen der Profis waren leicht nachzuvollziehen: Nach einer Phase extremer Überhitzung, in der viele private Kleinanleger offenbar blind dem scheinbar endlosen Aufwärtstrend gefolgt waren, würde es zu einer ebenso heftigen Abkühlung kommen. Der altbekannte Herdentrieb an der Börse würde in die andere Richtung genauso gut funktionieren wie vorher nach oben. Das müsse man dann für Käufe nutzen.
Insgeheim, so war an der Börse immer wieder zu hören, setze man bei Beginn der Korrektur auf eine panische Reaktion der Kleinanleger, die sich bei einem länger anhaltenden Kursrutsch überstürzt von ihren Papieren trennen würden, nicht nur an einem spekulativ überkauften Neuen Markt, sondern auch beim großen DAX mit seinen Standardtiteln. Wenn die Panik ihren Höhepunkt erreicht habe, also bei deutlich fallenden Kursen und steigenden Umsätzen, müsse man die Hand wieder aufhalten und kaufen, weil dann die Korrektur beendet sei. Eine logische Überlegung, die aber durch die aktuellen Kursentwicklungen in den ersten Sommertagen entgegen den Erwartungen der Börsianer konterkariert wurde.
Zwar gab es vor allem aus dem Ausland und aus dem Kreis der Börsenprofis leichte Verkäufe, aber das war’s dann auch schon. Zu offensichtlich schufen sich die Profis mit ihren Verkäufen eine eigene Welt. Es war nicht eine kollabierende Weltwirtschaft, die die Börsen ins Taumeln versetzte. Vielmehr hatten sich die Profis an den internationalen Finanzmärkten eine eigene schreckliche Scheinwelt ausgedacht und danach gehandelt. Diese vorweggenommene Wirklichkeit führte dann über die Wechselkurse zu ernsthaften tatsächlichen Konsequenzen in einzelnen Volkswirtschaften, wie beispielsweise im Herbst 1998 in Brasilien.
In Deutschland erhielten die Profis bei ihrem Angriff auf die »überkauften« Kurse zusätzlichen Flankenschutz durch das wachsende |217| Wahlkampfgetöse aus dem Umfeld der SPD-Opposition. In Deutschland stehe eine Deflation vor der Tür, war in den Gazetten zu lesen, der man nur Herr werden könne durch eine verstärkte staatliche Beschäftigungspolitik. Die Börse verstand das als Ankündigung der SPD, im Falle eines Wahlsieges die erfolgreiche Stabilitätspolitik der vergangenen Jahre aufgeben zu wollen.
Horrorszenarien wurden jetzt täglich auf dem Parkett herumgereicht. Unter einem möglichen Finanzminister Lafontaine könne die fast schon vergessene Inflationsgefahr als mahnendes Zeichen an der Wand auftauchen, über Gebühr hohe Tarifforderungen bei Löhnen und Gehältern
Weitere Kostenlose Bücher