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Greife nie in ein fallendes Messer

Greife nie in ein fallendes Messer

Titel: Greife nie in ein fallendes Messer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedhelm Busch
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zu vergleichen.
    Vor allem Unternehmen, die in den Bereichen Software und Informationstechnologie tätig waren – und diese Branchen stellten den Löwenanteil im Neuen Markt, gefolgt von Telekommunikation und Medien – verwiesen in der Regel auf hohe Ertragsaussichten, die erst in der fernen Zukunft lagen. Die herkömmliche Bewertungsmethode mithilfe des Kurs-Gewinn-Verhältnisses aber bezieht sich nur auf das laufende Geschäftsjahr oder auf das folgende. Im äußersten Fall berücksichtigen ganz verwegene Analysten auch das übernächste Geschäftsjahr in ihrem Betrachtungszeitraum. Was danach kommt |211| an Wachstumspotenzial, bleibt unbeachtet. Aber welches Jahr ist das »richtige« Jahr für ein junges Unternehmen?
    »Die Bewertung nach dem KGV benachteiligt die jungen innovativen Unternehmen am Neuen Markt«, versicherte mir Helmut Mader von der Deutschen Bank, den ich auf der Internationalen Anlegermesse in Düsseldorf zu diesem Thema befragte, »denn diese Unternehmen haben gerade in ihren ersten Jahren erhebliche Ausgaben für ihre Forschung und Entwicklung.« Daraus entstehe zu Beginn ihrer Geschäftstätigkeit in der Gewinn-und-Verlust-Rechnung mit hoher Wahrscheinlichkeit sogar ein negatives Jahresergebnis. Diese Aufwendungen seien aber die Voraussetzung für zukünftiges Wachstum. »Schon hieran erkennt man, wie schlecht sich das KGV für die Bewertung innovativer Unternehmen am Neuen Markt eignet«, so Mader.
    Viele Analysten setzten deshalb das KGV ins Verhältnis zum durchschnittlichen Gewinnwachstum der nächsten drei Jahre. Andere orientierten sich an den zukünftigen Zahlungsströmen im Unternehmen. Welche Bewertungsmethoden auch immer für richtig befunden und angewendet wurden, über eines waren wir uns an der Börse wohl alle einig: Der Neue Markt versprach dem Anleger auch auf lange Sicht erhebliche Kurschancen, die aber, nicht zuletzt wegen eines unerbittlichen weltweiten Preiswettbewerbes, ein ebenso hohes Risiko enthielten.
    Denn trotz der zunehmenden Zahl von Unternehmen am Neuen Markt blieb die Tatsache bestehen, dass es enge Werte waren, die überaus heftig schwanken konnten, und dagegen konnten weder Betreuerbanken noch Handelsunterbrechungen bei zu großen Schwankungen helfen. Daher verboten sich im Grunde unlimitierte Aufträge, die nur mit den Zusätzen »billigst« beim Kauf und »bestens« beim Verkauf versehen waren.
    Vor allem dann, wenn derartige Aufträge über das elektronische Handelssystem Xetra abgewickelt werden sollten, waren unlimitierte Aufträge eine offene Einladung an die Gegenseite, sofern sie Einblick in das Computerhandelssystem nehmen konnte, den Auftraggeber auszuquetschen wie eine Zitrone.
    Versah der private Kleinanleger seine Aufträge über das Xetra-System |212| mit einem Limit, konnte er aber trotzdem noch böse hereinfallen, denn seine eingegebene Order zeigte der Gegenseite, wie viel der Kaufinteressent im äußersten Fall zu zahlen bereit war, beziehungsweise wie tief der potenzielle Verkäufer mit seinem Preis noch heruntergehen konnte. Deshalb empfahl es sich, das Limit nicht allzu weit vom aktuellen Kurs festzusetzen, selbst auf die Gefahr hin, dass der Auftrag dann nicht ausgeführt würde.
     
    Aus heutiger Sicht, knapp fünf Jahre nach der Beerdigung des Neuen Marktes im Juni 2003, muten all diese Erwartungen und Hoffnungen reichlich naiv an. Trotz meiner Skepsis, mit der ich diesen Markt in der Telebörse von Anfang begleitete, hatte ich Ende der 1990er Jahre nicht einmal geahnt, mit welcher brutalen Konsequenz das Geld ahnungsloser, wenn auch nicht selten gieriger Anleger in den folgenden Jahren vernichtet werden sollte. Durch betrügerische oder auch nur großmannssüchtige Unternehmer aus der New Economy, durch skrupellose Anlageberater und dröhnende Trommlerbuben aus dem Kreis der Journalisten wurden allein am Neuen Markt schätzungsweise 200 Milliarden Euro vernichtet. Doch ist mit dem Ende des Neuen Marktes und dem Platzen der Hightech-Blase nicht zwangsläufig auch die New Economy gescheitert. Die Informationstechnologie, die Biotechnologie und die Nanotechnologie sind nach wie vor zukunftsträchtige Sektoren, ohne die unsere Gesellschaft nicht auskommen kann. Nicht die Idee der New Economy war falsch, wohl aber ihre Bewertung an den Finanzmärkten.
    Übrigens: Im Frühjahr 2000 erreichte die EM.TV-Aktie einen Höchstkurs von 120 Euro. Berücksichtigt man die zahlreichen Aktiensplitts und Berichtigungsaktien seit dem Börsengang des

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