Greife nie in ein fallendes Messer
Unternehmens im Jahr 1997, so hätte ein Aktionär, wäre er vom Beginn bis zum Höhepunkt der EM.TV-Hysterie dabei geblieben und dann ausgestiegen, einen sagenhaften Gewinn von 28 000 Prozent realisiert. Aufgrund seiner Börsennotierung schnellte der Unternehmenswert auf 14 Milliarden Euro hoch. Doch wer war schon so klug wie Vorstandschef Thomas Haffa, der genau in dieser allgemeinen Goldgräberstimmung Kasse machte? Als sein Bruder Florian, der im Unternehmen die Rolle des Finanzvorstands spielte, im Herbst |213| 2000 eine falsche Buchung zugeben musste – er hatte für das erste Halbjahr einen zu hohen Gewinn ausgewiesen –, zogen einige ausländische Anleger die Reißleine und stiegen aus, woraufhin der Kurs unter die Marke von 45 Euro abtauchte. Mancher deutsche Kleinanleger nutzte diesen vermeintlichen Schnäppchenpreis und stieg erst jetzt ein, wohl in dem irrigen Glauben, die einstige Euphorie könne wiederbelebt werden. Wenig später entpuppten sich die großartigen Käufe von Fernsehrechten als völlig überteuerte Flops. Ein weiteres Schmuckstück des Neuen Marktes, das sich, ebenso wie der Neue Markt selber, am Ende als Talmi erwies. Aber wem die Gier die Augen verklebt, der hat natürlich Schwierigkeiten, echten Schmuck von wertlosen Fälschungen zu unterscheiden.
Es kam, wie es kommen musste. Erst eine enttäuschende Gewinnmeldung, dann der Absturz der Aktie auf weniger als 20 Euro. Und schließlich eine Verurteilung der beiden Haffa-Brüder, die inzwischen aus dem Unternehmen ausgeschieden waren, durch das Landgericht München wegen der Angabe falscher Gewinnzahlen. Eine endgültige Entscheidung über die Schuld des ehemaligen EM.TV-Vorstands und eine mögliche Entschädigung der Aktionäre stehen noch aus. Die neuen Eigentümer haben das Unternehmen längst umstrukturiert, sich von verlustbringenden Unternehmensteilen getrennt und den Kurs der EM.TV-Aktie bei 3 Euro stabilisiert.
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Kapitel 10: An der Börse braucht man einen langen Atem. Reifeprüfung für Kleinanleger
Es mag überraschend klingen, aber trotz des heftigen Kurseinbruchs im Juli halte ich das Jahr 1998 für ein erfolgreiches Börsenjahr. Mit Blick auf die Aktienkultur in Deutschland ist es meines Erachtens sogar höher zu bewerten als das spektakuläre Boomjahr 1997.
Im späten Frühjahr 1998 wurde an der Frankfurter Börse jeder, der auch nur in einem Nebensatz von weiter steigenden Kursen sprach, als blinder Optimist verlacht. Nichts, aber auch gar nichts rechtfertige eine Fortsetzung der monatelangen Hausse, die im Grunde seit Ende Oktober vergangenen Jahres den DAX von 3 600 bis auf über 5 000 gehievt hatte. Die Krisenherde in Südostasien und Russland würden im nächsten Jahr auch Europa erreichen und das Wachstum der deutschen Wirtschaft beeinträchtigen. Zwar seien die deutschen Unternehmen im asiatischen Raum längst nicht so stark engagiert wie die amerikanische Konkurrenz, was sich vielleicht jetzt als Vorteil herausstellen könnte, aber über eine Konjunkturabschwächung in den Vereinigten Staaten werde die Asiengrippe in einigen Monaten auch Europa erreichen. Dazu komme, direkt vor unserer Haustür, der offensichtliche Kollaps der russischen Wirtschaft.
Meine Einwände, die deutschen Exporte nach Russland seien so gering, dass sie bestimmt keinen Einbruch unserer wirtschaftlichen Entwicklung zur Folge haben würden, darüber hinaus seien die Engagements deutscher Kreditinstitute in Russland über staatliche Hermesbürgschaften weitgehend abgesichert, wurden mit dem Hinweis gekontert, jenseits aller wirtschaftlichen Überlegungen müssten mögliche gesellschaftspolitische Umbrüche im nahen Russland unmittelbar auch auf den benachbarten deutschen Finanzmarkt durchschlagen. Die alte Frontstaatentheorie aus der Zeit des Kalten |215| Krieges feierte also wieder fröhliche Urstände. Und schließlich wurden als Trumpfkarte der Pessimisten nochmals die USA ins Spiel gebracht. Durch ein mögliches Amtsenthebungsverfahren gegen Präsident Clinton drohte dem US-Dollar und damit letztlich auch der deutschen Exportwirtschaft eine nicht zu unterschätzende Gefahr.
Dass aber in Wirklichkeit durch die Unsicherheiten an den asiatischen, russischen und etwas später auch an den südamerikanischen Finanzmärkten viele Anleger weltweit aus ihren Renditeträumen aufgeschreckt wurden und mit ihren Geldern in die sicheren Häfen der USA und Europas flohen, also für dramatisch sinkende Renditen auch auf unserem Rentenmarkt
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