Greife nie in ein fallendes Messer
außerdem konnte Saddam Hussein innerhalb weniger Tage den westlichen Industrienationen den Ölhahn zudrehen.
Den Mut, jetzt schon auf ein Ende der Krise zu setzen und die Kursverluste zum billigen Einstieg zu nutzen, diesen Mut hatte keiner, zumal uns Deutschen noch ein anderes Problem auf der Seele lag: die Folgelasten der Wiedervereinigung. Vor wenigen Wochen hatte die Bundesregierung unter Kanzler Helmut Kohl mit der neuen DDR-Regierung |63| ein einheitliches Währungsgebiet für alle Deutschen in West und Ost vereinbart. Doch statt die unmittelbar bevorstehende Wiedervereinigung der beiden deutschen Staaten als historisches Ereignis und als Verdienst des Kanzlers mit ganzem Herzen zu akzeptieren, diskutierte die westdeutsche Öffentlichkeit immer noch die möglichen Kosten der Wiedervereinigung, den zu erwartenden Konsumstoß, der vom Osten Deutschlands ausgehen würde, die Inflation, die daraus entstehen konnte.
Der Wahlkampf im Vorfeld der ersten gesamtdeutschen Bundestagswahl Anfang Dezember verschüttete jede Begeisterung über die lang ersehnte und nun endlich erreichte deutsche Einheit. Aus dem sozialdemokratischen Lager um den Kanzlerkandidaten Lafontaine drangen ständig neue Zahlenspielereien über einen milliardenschweren Finanzbedarf für den Osten Deutschlands an die Öffentlichkeit und damit auch in die Büros der Börsianer und der institutionellen Anleger, der Investmentfonds oder Versicherungsgesellschaften. Bundesbankpräsident Karl Otto Pöhl kritisierte den günstigen Umtauschkurs der eher wertlosen DDR-Mark gegen die stabile D-Mark. Die Dresdner Bank sagte für das laufende Jahr und für 1991 einen drastischen Rückgang der Gewinne voraus. Wegen der teuren Anschubfinanzierung im Osten werde sich der Bund stärker verschulden müssen, würden die Zinsen in Deutschland deutlich steigen. Die chemische Industrie werde zudem durch die steigenden Rohölpreise belastet, klagte Professor Wolfgang Hilger, Vorstandschef beim deutschen Chemiegiganten Hoechst.
Während sich US-Präsident Bush vergeblich um eine deutliche Antwort der UNO auf die Aggression der Iraker bemühte, diskutierten die Deutschen in einer peinlichen Nabelschau die Auswirkungen der Wiedervereinigung auf die Preise und Zinsen. Der Golfkonflikt schien in Deutschland höchstens wegen der explodierenden Energiekosten eine Rolle zu spielen. Auf keinen Fall aber konnte er als Grund herhalten, günstig in den deutschen Aktienmarkt einzusteigen. Die offensichtliche Ohnmacht der Amerikaner gegenüber Saddam Hussein erinnerte einige deutsche Kommentatoren an das Jahr 1980, als Präsident Carter vom iranischen Ayatollah-Regime an der Nase durch den Ring geführt worden war.
|64| An der Börse wurden wir täglich aufs Neue in ein Wechselbad der Gefühle gestürzt. Das öffentliche Wahlkampfgezeter um die Kosten der deutschen Wiedervereinigung, die Furcht vor steigenden Preisen und Zinsen, die Erwartung sinkender Gewinne in der deutschen Wirtschaft, dazu die Meldungen und Gerüchte aus der Golfregion: wahrlich kein Grund, deutsche Aktien zu kaufen. »Kaufen, wenn die Kanonen donnern« wurde als untaugliche Börsenmär abgetan.
Meine ständigen Telefongespräche mit Analysten und Vertretern institutioneller Anleger im Ausland ließen mich für die Zukunft Böses ahnen. Leichtes Kopfschütteln auf amerikanischer Seite über den provinziellen Kleinmut der Deutschen, das war noch die freundlichste Art der Kritik. Mancher drückte sich schon etwas deftiger aus. »Ihr Deutschen seid Weltmeister im Jammern«, hieß es, »statt eure Interessen an der Seite der Verbündeten im Golf tatkräftig zu vertreten, schlagt ihr Verhandlungen mit dem Diktator vor, statt über den offensichtlichen Zusammenbruch des kommunistischen Systems und die unverhoffte Wiedervereinigung zu jubeln, beklagt ihr die möglichen Milliardenzahlungen an ostdeutsche Rentner.«
In der Tat provozierte das deutsche Wahlkampfgetöse um die deutsche Einheit bei den ausländischen Anlegern mehr als nur diplomatisches Räuspern. Mit dem Hinweis auf deutsches Verfassungsrecht wurden Einsätze deutscher Soldaten in der Golfregion abgelehnt: Man müsse hierfür erst einmal die Gesetze ändern, hieß es aus Bonn. Außerdem möge man doch zunächst die gemeinsam beschlossenen Handelssanktionen gegen den Irak wirken lassen. Vielleicht werde sich Saddam Hussein von dem gegen ihn verhängten Embargo und von seinen blockierten Auslandskonten beeindrucken lassen. Hinweise auf die
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