Greife nie in ein fallendes Messer
den Grünen, ein lebhaftes Echo. Die Franzosen, in alter Tradition dem Irak auch wirtschaftlich verbunden, versuchten ebenfalls, das Feuer am Golf ohne große Waffengeräusche auszutreten. Lediglich der amerikanische Präsident George Bush sprach von einer nackten Aggression, die man in den USA nicht hinnehmen werde. Selbst militärische Interventionen lägen im Bereich des Möglichen. Um diese entschiedene Haltung zu unterstreichen, verließ der amerikanische Flugzeugträger Independence den Indischen Ozean in Richtung Golf.
|61| An militärische Gegenaktionen der zivilisierten Welt mochten aber vor allem die Europäer nicht denken. Handelssanktionen gegen den Irak wurden beschlossen, das irakische Vermögen im Ausland wurde blockiert. Doch das war es auch schon an Reaktionen. Geschickt machte sich Saddam Hussein diese zögerliche Haltung im Lager seiner Gegner zunutze. Als gewiefter Taktiker hielt er sofort den westlichen Bedenkenträgern einen Happen hin: Er werde sich innerhalb von 24 Stunden wieder aus Kuwait zurückziehen.
Bei uns an der Börse tauchte dieses Gerücht zum ersten Mal bereits am 3. August auf. Die Erleichterung war überall zu spüren. Sollte sich der irakische Diktator zurückziehen, so waren die Öllieferungen nicht in Gefahr, gab es keine inflationären Tendenzen wegen der steigenden Energiekosten, brauchten die Kuwaiter nicht ihre gewichtigen Anteile an der deutschen Industrie und der Finanzwirtschaft zu Geld zu machen.
Diese Überlegung hing wie ein Damoklesschwert über der deutschen Aktienbörse. Voller Sorge hatten mich meine Interviewpartner in der Telebörse auf das Kuwait Investment Office (KIO) hingewiesen. Über diese Organisation hatten sich die wohlhabenden Kuwaiter mit ihren Ölmilliarden in ganz Europa, auch in zahlreichen deutschen Unternehmen eingekauft. Nur erste Adressen standen auf der Liste. Mit 14 Prozent war das KIO an Daimler beteiligt, mit 15 Prozent an Hoechst, zu 20 Prozent gehörte ihnen die Metallgesellschaft. Auch vom traditionsreichen Frankfurter Bankhaus Georg Hauck & Sohn lagen Anteile bei den Kuwaitern. Waren die Kuwaiter aus Geldnot gezwungen, ihre Anteile an deutschen Aktiengesellschaften zu versilbern, so würde es an der Börse zu einem fürchterlichen Kursdesaster kommen. Das Gerücht über den bevorstehenden Rückzug der Iraker verhieß den Börsianern aber die baldige Rückkehr zur Normalität und wurde deshalb ohne Argwohn akzeptiert, obwohl es ursprünglich angeblich aus einer nicht genau definierten englischen Quelle stammte.
Langjährige Erfahrungen mit Gerüchten aus der englischen Küche haben die deutschen Börsianer gelehrt, in solchen Fällen besonders vorsichtig zu sein und immer erst nach dem Nutznießer eines solchen Gerüchts und seinen Motiven zu fragen, bevor sie entsprechend handeln |62| . Diesmal aber waren wir alle wild entschlossen, an ein schnelles Ende des Konflikts zu glauben, und nahmen deshalb die Hoffnung für die Realität.
Als sich nur einen Tag später alles als großer Bluff herausstellte, war die Enttäuschung umso größer. Offensichtlich hatte der irakische Diktator uns eine erste Kostprobe seiner Verschlagenheit serviert, um die Zögerlichen im Lager der UNO in ihrer Meinung zu bestätigen, man könne den Golfkonflikt durch Verhandlungen auf friedlichem Wege beilegen. Nach dem räuberischen Überfall auf das schutzlose Kuwait war diese Einschätzung mehr als zynisch, fiel aber gerade in Deutschland auf fruchtbaren Boden, wie sich schnell herausstellen sollte.
Der offene Widerstand in der demokratischen Welt gegen die amerikanischen Pläne, durch eine sofortige militärische Aktion dem Aggressor die Beute wieder zu entreißen, um möglichen Nachahmern die Bereitschaft der zivilisierten Welt zu demonstrieren, die Menschenrechte mit allen Mitteln zu verteidigen, dieses Zaudern, diese Unentschlossenheit im Lager seiner Gegner mag Saddam Hussein in dem Glauben bestärkt haben, mit seiner Beute ungeschoren davonzukommen. Von Anfang an hielt sich auch das Gerücht, er sei womöglich in dieser Einschätzung sogar von amerikanischen Stellen bestärkt worden.
Statt der erwarteten Entwarnung aber machten neue Tatarenmeldungen aus der Golfregion die Runde. Der Irak habe seine Elitetruppen an der saudischen Grenze zusammengezogen. Was das bedeuten konnte, war jedem Börsianer sofort klar: Diese angeblich hervorragend ausgerüsteten Soldaten würden das saudische Könighaus ebenso vertreiben wie die kuwaitische Regierung, und
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