Greife nie in ein fallendes Messer
scheinbar endlose Erfolgsstory. Die internationalen Anleger reagierten sofort und hielten sich, wohl auch angesichts der hohen Aktienkurse am Tokioter Markt, merklich zurück. Der Börsenindex Nikkei, der Anfang des Jahres in einer vorher nie erlebten Geschwindigkeit die Hürde von 40 000 Yen zu nehmen schien, brach ein – von einem Tag auf den anderen. Wie in einem defekten Fahrstuhl stürzten die Kurse ab und kamen erst wieder bei einem Indexstand von weniger als 31 000 Yen zum Halt.
Ich hatte mir schon ein paar Brocken Japanisch angeeignet, um die täglichen Großeinkäufer aus dem fernen Osten in Frankfurt an der Börse entsprechend begrüßen zu können. Doch nun gab es in |57| den Interviews der Telebörse nur noch bange Fragen nach dem Verhalten der japanischen Anleger. Würden sie sich zur Unterstützung ihrer eigenen Finanzmärkte aus Amerika und aus Europa, vor allem aus Deutschland zurückziehen? Das konnte in den USA die Bondmärkte zum Einsturz bringen, die Renditen also nach oben treiben, nicht nur bei den Amerikanern, sondern auch in Deutschland. Denn längst waren die internationalen Finanzmärkte so eng miteinander vernetzt, dass nationale Alleingänge auf den internationalen Kapitalmärkten, also dort, wo die Anleger und nicht die nationalen Notenbanken die Richtung bestimmen, kaum noch möglich waren.
Bis heute malt man immer wieder diese Gefahr eines japanischen Rückzugs an die Wand. Aber noch haben sich die japanischen Anleger kaum in nennenswertem Umfang von ihren internationalen Finanzengagements getrennt. Warum sollten sie auch beispielsweise ihre hochverzinslichen amerikanischen Bonds gegen japanische Papiere eintauschen? Bei den niedrigen Zinsen in Japan! Doch ganz ausschließen darf man diese Gefahr, die auch heute – fast zwanzig Jahre später – wie ein Damoklesschwert über der amerikanischen Währung hängt, nicht.
Auf dem Frankfurter Aktienmarkt waren angesichts der starken Nachfrage ausländischer Anleger nur wenige Börsianer bereit, sich die eigene positive Grundstimmung durch längeres Nachdenken über mögliche Verkäufe japanischer Anleger verderben zu lassen. Nach wie vor lief der DAX wie auf Schienen in Richtung 2 000. Von der erwarteten Nachfragewelle der neuen Bundesbürger nach Gütern des täglichen Bedarfs erhofften sich viele ausländische Analysten einen kräftigen Auftragsschub für die westdeutsche Industrie.
Kaum waren die ersten Ostdeutschen mit ihren Trabbis in den Westen getuckert, zogen die VW-Aktien an. Für mich war das eine logische Konsequenz, denn als erste Investition, so die Kalkulation einiger meiner Gesprächspartner, würden sich unsere wiedervereinten Brüder und Schwestern aus dem Osten ein westdeutsches Auto zulegen. Im Gefolge der VW-Aktien sprangen auch die Titel von Daimler und BMW an.
Wo mehr Autos unterwegs sind, braucht man bessere Straßen, |58| neben den dringend erforderlichen Modernisierungsmaßnahmen im Wohnungsbau ein gutes Argument, auf deutsche Bauwerte zu setzen. Für die Bauwirtschaft in Deutschland fiel die Wiedervereinigung wie Manna vom Himmel. Schon in der alten Bundesrepublik hatte eine gestiegene Nachfrage nach Wohnungen und Gewerbebauten die Kapazitätsauslastung in Richtung 70 Prozent angehoben. Jetzt winkten zusätzliche Aufträge aus den neuen Bundesländern.
Im Telefonbereich konnten die westdeutschen Anbieter auf eine wahre Auftragsflut setzen, denn von 100 DDR-Bürgern verfügten nur elf über ein Telefon. Im Westen waren es immerhin 46 von 100. Über ein Drittel der Anlagen in der DDR waren älter als zwanzig Jahre. 12 Milliarden D-Mark, so die ersten vorsichtigen Schätzungen, werde die Modernisierung des Kommunikationswesens im Osten Deutschlands kosten. Derartige Rechnungen wurden an der Börse überwiegend von Händlern ausländischer Kreditinstitute für alle Branchen der deutschen Wirtschaft aufgemacht, ihre Kunden dachten offenbar weniger an die Belastungen als an die Chancen der deutschen Wiedervereinigung. Kein Wunder, dass so mancher Ausländer den DAX unmittelbar vor dem Beginn einer wunderbaren Rekordjagd wähnte.
Die Ernüchterung kam schlagartig und gänzlich unerwartet. Nicht die Finanznöte der Japaner und ihre Querelen mit den USA stießen die Börsianer zurück in die Realität, nicht die deutschen Zinsängste wegen der hohen Kosten der Wiedervereinigung, nein, der Angriff kam aus einer ganz anderen Ecke.
Monatelang hatte der irakische Diktator Saddam Hussein seine Nachbarn, die
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