Greife nie in ein fallendes Messer
wohlhabenden Kuwaiter, unverblümt aufgefordert, auf die vereinbarte Rückzahlung von 30 Milliarden US-Dollar zu verzichten. In dieser Höhe hatte Kuwait dem finanziell schwachen Irak in seinen Auseinandersetzungen mit dem Iran unter die Arme gegriffen. Diese Schulden konnte und wollte Saddam Hussein angesichts seiner leeren Kassen nicht zurückzahlen. Und um dem Ganzen die Krone aufzusetzen, beanspruchte der irakische Diktator zusätzlich einen Teil des kuwaitischen Gebietes für sich. Natürlich ein Gebiet von entscheidender Bedeutung für die Rohölgewinnung. Dass |59| sich die Kuwaiter weigerten, auf die Forderungen ihres undankbaren Schuldners einzugehen, fand an der Börse ungeteiltes Verständnis, regte aber keinen von uns sonderlich auf. Selbst als Saddam Hussein am 1. August 1990 diese mehr als merkwürdigen Verhandlungen abbrach, zog der Rohölpreis nur leicht an, auf etwas mehr als 20 US-Dollar pro Barrel. Der DAX fiel ein wenig unter die Marke von 1 900, aber das war es auch schon, eine leichte Unsicherheit, mehr nicht.
Doch unser Gleichmut war nur einen Tag später restlos verschwunden. Ich traute meinen Ohren nicht, als ich morgens im Deutschlandfunk die unglaubliche Eilmeldung vernahm: Der Irak hat am 2. August 1990 Kuwait überfallen. Was Saddam Hussein bezweckte, war jedem sofort klar: Er wollte die Vormachtstellung am Persischen Golf und gleichzeitig seine Kriegskasse mit den kuwaitischen Schätzen auffüllen. Offenbar war dieser Diktator allen Ernstes der Meinung, die zivilisierte Welt werde diesem brutalen Raubüberfall tatenlos zusehen, aus Angst vor einer Gefährdung der weltweiten Ölversorgung. Denn die Ölvorräte aus der Golfregion waren von grundlegender Bedeutung für die Weltwirtschaft, zumal jene in der Nordsee allmählich zur Neige gingen. Kuwait und der Irak verfügten zusammengenommen über die drittgrößten Ölreserven der Welt. Sollten diese Quellen versiegen, aus welchen Gründen auch immer, so waren die europäischen und erst recht die asiatischen Industrienationen in ihrer Existenz bedroht.
Wie an diesem Donnerstag die Weltbörsen reagieren würden, konnten wir uns leicht ausmalen: Crash! Und genauso kam es. Wie häufig bei weltweiten Krisen flüchteten die Anleger in den nächsten sicheren Hafen, das heißt in den US-Dollar. Binnen weniger Minuten schoss die US-Währung, die einige Tage zuvor gegenüber der D-Mark noch geschwächelt hatte, um 4 Pfennig auf 1,62 nach oben. Selbst das Gold war plötzlich als Reserve wieder gefragt, und der Ölpreis sprang aus dem Stand um 15 Prozent auf 24 US-Dollar pro Barrel. Am deutschen Rentenmarkt meldeten die Händler Land unter. Kursverluste bis zu mehr als einem Prozentpunkt trieben die durchschnittliche Umlaufrendite um elf Stellen auf 8,79 Prozent hoch.
|60| Bei diesem Katastrophenszenario überraschte mich die fast abgeklärte Ruhe einiger meiner Gesprächspartner. Natürlich verkauften sie ihre Bestände, aber alles verlief in ruhigen Bahnen, ohne Hektik. Günter Burgold von der BHF-Bank, einer der erfahrensten Händler auf dem Parkett, fand sogar noch Zeit, mit mir gemeinsam über alte Börsianerweisheiten nachzudenken. Wie hochsensible Seismografen reagieren in aller Regel die Börsen auf Kriege, Unglücksfälle oder Katastrophen. In den ersten Schrecksekunden werden dann häufig selbst die Kurse hochwertiger Standardtitel über Gebühr heruntergeprügelt. Der clevere Anleger nutzt diese Übertreibungen zu Käufen. Er handelt nach der Devise »Kaufen, wenn die Kanonen donnern!«.
War dieser 2. August solch eine günstige Gelegenheit? Immerhin war der DAX um mehr als ein Prozent auf 1 869 Punkte abgestürzt. Eher noch nicht kaufen, war die überwiegende Meinung auf dem Parkett, denn von Panikverkäufen und extrem günstigen Kaufkursen war ja weit und breit nichts zu sehen. Und wo war denn der Kanonendonner? War der irakische Überfall auf Kuwait wirklich der Beginn eines offenen Krieges?
Saddam Hussein schien vor allem die europäische Seelenlage richtig eingeschätzt zu haben. Mit den Kuwaitern, die bei einem jährlichen Pro-Kopf-Einkommen von 10 000 US-Dollar zu den reichsten Staaten dieser Welt zählten, mochten nur wenige wirkliches Mitleid und Solidarität empfinden. Außerdem konnte ein einziger Funke genügen, das Ölfass namens Persischer Golf zur Explosion zu bringen. Lieber mit Saddam Hussein verhandeln, als ihn mit Waffengewalt bekämpfen. Dieses Motto fand besonders in Deutschland, bei den Sozialdemokraten und
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