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Greife nie in ein fallendes Messer

Greife nie in ein fallendes Messer

Titel: Greife nie in ein fallendes Messer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedhelm Busch
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einem Land investiert sein, das als erstes unter diesem Krieg würde |90| leiden müssen, so fragten sich anscheinend manche amerikanische Anleger.
    Selbst heute, nach der Auflösung der Sowjetunion, krankt die deutsche Börse noch an diesem Stigma. Nicht mehr wegen der Furcht vor militärischen Auseinandersetzungen, heute sind es vielmehr die engen wirtschaftlichen Verbindungen deutscher Banken zu Russland. Wackelt die russische Wirtschaft, so unkten besonders skeptische Marktbeobachter, geraten die deutschen Kredite in Gefahr, rutschen die Kurse der Banken an der Börse. Dass in der Regel diese Risiken längst durch Wertberichtigungen berücksichtigt oder durch Staatsbürgschaften abgesichert worden waren, war für die Börse nur von untergeordneter Bedeutung. Solche Ängste sind seit dem rigorosen Umbau der russischen Gesellschaft durch Wladimir Putin nahezu spurlos verschwunden. Heute ist das rohstoffreiche Russland einer der wichtigsten Absatzmärkte für den deutschen Maschinenbau. Und ohne die russischen Gaslieferungen stünde unsere Energieversorgung auf rachitischen Beinen.
     
    Anfang der 1990er Jahre konnten wir in Frankfurt nur auf den Umkehrschluss aus der amerikanischen Kommunistenfurcht hoffen. Wenn die geografische Nähe zur Sowjetmacht für die deutschen Aktien einen Malus bedeutete, dann musste in logischer Konsequenz von einer möglichen Bankrotterklärung des kommunistischen Planungssystems vor allem die benachbarte deutsche Industrie profitieren. Einmal, weil die militärische Bedrohung schwinden, zum anderen, weil sich ein gewaltiger Markt öffnen würde. Eine Erwartung, die sich aber erst Jahre später mit der wachsenden Bedeutung der russischen Öl- und Gasreserven erfüllte.
    Die Hauptfigur in diesem Gedankenspiel stellte damals zweifellos der sowjetische Präsident Michail Gorbatschow dar. In der Sowjetunion selber war er mehr als nur umstritten. Offenbar hatte er mit seinem Umbau des sowjetischen Systems zu viele verdiente Helden mit ihren breiten Ordensspangen auf der Brust um ihre gesellschaftliche Macht und damit auch um ihre Pfründe gebracht. Dieser Verlust der persönlichen Macht und der offenbare Ausverkauf der maroden Sowjetunion hatten sie in eine wachsende Gegnerschaft zu |91| Gorbatschow getrieben. Doch was bedeuteten schon die innenpolitischen Querelen angesichts der außenpolitischen Erfolge? Michail Gorbatschow, der Strahlemann für die westliche Welt, einer der Väter der deutschen Wiedervereinigung! Mit dieser kosmetischen Salbe wurden alle Signale aus der Sowjetunion überdeckt, die auf arge wirtschaftliche Probleme oder gar auf einen möglichen Bürgerkrieg hindeuteten.
    Dabei war der Zusammenbruch der Sowjetunion auch von draußen eigentlich nicht zu übersehen. Der Rücktritt des sowjetischen Außenministers Schewardnadse war ein erstes Alarmsignal gewesen. Osteuropa-Spezialisten überschütteten uns Anfang 1991 in der Sendung mit katastrophalen Erkenntnissen und Einschätzungen. So würde das Bruttosozialprodukt in der Sowjetunion 1991 um 10 Prozent sinken, die Inflationsrate mit 50 Prozent in den gestreckten Galopp übergehen. Bis zu 40 Millionen Arbeitslose könnten die Folge sein. Mit der Bedienung ihrer Auslandsschulden von über 50 Milliarden US-Dollar sei die Sowjetunion im Rückstand. Westdeutsche Banken würden für ihre Kredite umfangreiche Rückstellungen vornehmen müssen.
    Dieses Horrorszenario ließ allmählich auch den letzten Optimisten auf dem Börsenparkett verstummen, der bis dahin an eine erfolgreiche Sanierung und Rettung ostdeutscher Unternehmen durch Aufträge aus der Sowjetunion geglaubt hatte. Offensichtlich brach der ganze Ostblock als Markt zusammen.
    Um die ausländischen Kreditgeber nicht völlig zu verprellen, versprach Gorbatschow eine schrittweise Annäherung der Sowjetunion an das marktwirtschaftliche System, die zentrale Macht aber solle in Moskau bleiben. »Dazu ist es zu spät«, tönte der Internationale Währungsfonds (IWF) zurück und forderte einen plötzlichen Systemwechsel in einem einzigen Schritt. Gorbatschow müsse die Preise freigeben, Staatsbetriebe privatisieren, Wettbewerb mit ausländischen Unternehmen zulassen, die Inflation energisch bekämpfen und durch eine Währungsreform die Finanzsituation in der Sowjetunion stabilisieren.
    Aus der Sicht der Börse wäre dies ein reines Selbstmordprogramm gewesen. Als Gorbatschows Ministerpräsident Pawlow den Versuch |92| einer Währungsreform startete, indem er kurzerhand

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