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Greife nie in ein fallendes Messer

Greife nie in ein fallendes Messer

Titel: Greife nie in ein fallendes Messer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedhelm Busch
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der neuen Herren im Kreml geben?
    Bei aller Unsicherheit über die Lage in Moskau und über die Zukunft der deutsch-sowjetischen Beziehungen hatte der Börsentag in Frankfurt eines gezeigt: Die Verkäufe am Aktienmarkt hatten bereits während der Sitzung nachgelassen, offenbar hatten die Verkäufer nach der ersten Welle ihr Pulver verschossen. In seinem Ausmaß sei der Kurssturz völlig übertrieben gewesen, hieß es. Fundamentale Gründe seien nicht im Spiel gewesen, da die möglichen Einbußen im deutsch-sowjetischen Handel schon vorher in den Kursen gesteckt hätten.
    Ausschließlich politische Gründe hatten also zu dem Crash geführt. Politische Argumente aber verlieren in der Regel schnell an Wirkung, wie die Erfahrungen der alten Börsianer zeigen. »Politische Börsen haben kurze Beine.«
    Auch am Rentenmarkt sah es nach genauem Hinsehen gar nicht so schlecht aus. Zwar war die Notierung für den Bund-Future am Londoner Terminmarkt Liffe um 80 Punkte auf einen Tagestiefststand von 83,59 Prozent abgestürzt, am Kassamarkt im Frankfurter Rentensaal aber war die Stimmung eher zuversichtlich. Sollte die Krise andauern, so hörte ich, werde es vielleicht eine Flucht aus den Aktien in die festverzinslichen Rentenpapiere geben. Der Rentenmarkt könne so von der Krise sogar profitieren, spekulierte einen Tag später die Börsen-Zeitung .
     
    Die Nachrichtenlage aus Moskau blieb unklar. Offenbar hatte der sowjetische Geheimdienst KGB zusammen mit Teilen der Roten Armee gegen die Pläne Gorbatschows geputscht, die Sowjetunion auf einem sanften Weg allmählich aus der Planwirtschaft in Richtung Marktwirtschaft zu bewegen. Doch seit seinem Amtsantritt als Generalsekretär der KPdSU im Frühjahr 1985 hatte Gorbatschow vergeblich versucht, die Wirtschaftskatastrophe in der Sowjetunion |97| abzuwenden. Dies hatte ihn um den Beifall seiner eigenen Landsleute gebracht. Zweifel waren also angebracht, ob Boris Jelzin mit seinem Aufruf zum Widerstand gegen die Putschisten auf ein ausreichendes Echo stoßen würde. Andererseits hatten diese Putschisten um den selbsternannten neuen Staatspräsidenten Gennadi Janajew ebenfalls kein Konzept gegen die wirtschaftliche Krise.
    Gegen Abend lasen wir auf unserem Bildschirm in der Redaktion reichlich diffuse Aussagen Janajews, die man als erste Anzeichen des Rückzugs deuten konnte. Gorbatschow werde vielleicht ins Amt zurückkehren, hieß es, es werde eine Zusammenarbeit mit Gorbatschow angestrebt.
    An der New Yorker Börse nahmen diese Nachrichten sehr schnell jede Panik aus dem Markt. Zu Beginn hatte die Wall Street nach einem Kurseinbruch um 50 Punkte den Handel noch kurz unterbrochen, danach aber war Gelassenheit angesagt; der Dow Jones hatte am Ende lediglich 70 Punkte verloren. Für uns in Deutschland war das ein gutes Vorzeichen für die nächste Börsensitzung, den zweiten Tag des Putsches.
     
    Von Beginn an häufen sich die Kauforders, gerade vonseiten der Kleinanleger. Wahrscheinlich erinnern sie sich an die kurzen Beine der politischen Börsen. Gleichwohl ist die Nervosität immer noch sehr groß. Gegen 12:30 Uhr steigt der Lärmpegel unten auf dem Parkett schlagartig an. Keiner vermag zu sagen, woher das Gerücht gekommen ist, aber plötzlich weiß jeder, dass Gorbatschow schon auf dem Weg zurück in den Kreml ist. Auf einen Schlag legt der DAX gewaltige 10 Punkte zu, bei der heutigen Volatilität und auf einem Niveau von 7 000 Punkten eher eine Winzigkeit. Am Rentenmarkt gewinnen die Anleihen 65 Pfennig. Doch genauso schnell, wie das Gerücht aufgetaucht ist, ist fünf Minuten später das Dementi auf den Bildschirmen zu lesen, und alle Freude fällt in sich zusammen. Es bleibt aber bis zum Schluss des Handels ein Plus von knapp 30 Punkten.
    Der nächste Tag muss die Entscheidung bringen. Schon in den frühen Morgenstunden, vor Beginn der Börsensitzung, gibt es Meldungen über Panzerbewegungen in Moskau; Boris Jelzin habe die Bürger |98| Moskaus auf die Straßen gebracht, melden die Agenturen, es gebe Machtkämpfe innerhalb der Armee, die Putschisten seien verwirrt, ohne Konzept.
    Mit diesem Wissen im Hinterkopf beginnen die Börsianer die Sitzung bei steigenden Kursen. Immer wieder drängen sich die Händler und Makler vor den Bildschirmen in den Büros der Kreditinstitute an den Seiten des Börsenparketts. Nach jeder neuen Meldung rennen alle los in Richtung Maklerschranken, um Aufträge zu platzieren. Gibt es vage Hinweise auf einen Erfolg der Proteste aus der

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