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Greife nie in ein fallendes Messer

Greife nie in ein fallendes Messer

Titel: Greife nie in ein fallendes Messer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedhelm Busch
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D-Mark gegenüber dem US-Dollar und dem britischen Pfund |88| würde den Jahrgang ’91 zusätzlich verderben, denn über die steigenden Importpreise käme ein weiterer Inflationsschub. »Bestenfalls ein billiger Tafelwein«, war das einhellige Urteil.
    Der plötzliche Rücktritt des Bundesbank-Chefs Karl Otto Pöhl passte in dieses Szenario wie die Faust aufs Auge. Warum hatte er das Handtuch geworfen? Diese Frage beschäftigte uns an der Börse tagelang. War es ein Zerwürfnis mit dem Bundeskanzler wegen der Abwicklung und Finanzierung der Wiedervereinigung? Oder war es der Wechsel in einen neuen, lukrativeren Job? Oder schlicht und ergreifend nur der Wunsch nach endlich mehr Freizeit? Die internationale Finanzwelt witterte politische Gründe und setzte damit auf eine weitere Schwächung unserer Währung.
     
    Konkrete Argumente, ob sie nun falsch oder richtig sind, nützen sich auf dem Parkett sehr schnell ab, sie verlieren, zumindest vorübergehend, ihre Wirkung auf die Kursentwicklung. Jeden Tag wird halt eine andere Sau durch die Börse gejagt.
    Ein Anlageberater, der seinem Kunden rät, bestimmte Aktien zu kaufen, zu verkaufen oder zu halten, braucht dafür plausible Gründe. Natürlich ist es sehr schwierig, gegen die eigene Grundstimmung objektiv nach Argumenten zu suchen, die dieser Richtung widersprechen. Verständlich also, dass ein Pessimist vor allem im Negativen fündig wird und positive Hinweise geringer einschätzt.
    Bei den umsatzabhängigen Händlern und Maklern auf dem Parkett kommt noch eine zweite Überlegung hinzu. Grundsätzlich handeln sie, ihrer Mentalität und ihrer Auftragslage folgend, sehr kurzfristig. Strategien, die über mehrere Tage hinaus unverändert bleiben, sind eher die Ausnahme. Daher fällt es ihnen in den Gesprächen mit mir immer wieder sehr schwer, zum Nichtstun zu raten. Argumente für den Kauf oder Verkauf lassen sich dagegen, entsprechend der allgemeinen Stimmungslage, leichter finden. Der Rat, ganz einfach zu warten, sein Geld im womöglich unattraktiven Geldmarkt zu parken, wird zudem vom Kunden häufig als Ratlosigkeit empfunden. Voreilige Gewinnmitnahmen oder verfrühte Käufe sind dann nicht selten die Folge.
    Im Frühsommer 1991 aber gab es keinen derartigen Erklärungsnotstand |89| . Auf ihrer ständigen Suche nach Hinweisen auf eine fallende Börse wurden die Börsianer und die Finanzanalysten in den Kreditinstituten an jeder Ecke fündig – nicht nur im deutschen Jammertal.
    Wer voller Zuversicht in die Zukunft des wiedervereinten Deutschland schaute, verwies die zahllosen Zweifler und Pessimisten unter anderem auf die starke Bindung der ehemaligen DDR-Wirtschaft an den Ostblock: Schon die alte Bundesrepublik Deutschland war für die RGW-Länder der größte westliche Handelspartner gewesen. Noch 1989 hatte der gesamte Ostblock gut ein Drittel seiner Importe aus dem Westen Deutschlands bezogen. Nun, nach der Wiedervereinigung, müsste sich dieser Handel erheblich ausdehnen, denn schließlich hatte die damalige DDR noch 1989 mehr als 70 Prozent ihrer Exporte in den Osten Europas, vor allem in die Sowjetunion geliefert. Die intensiven Kontakte, die aus diesen Handelsbeziehungen zwischen ostdeutschen Unternehmen und Unternehmen in der UdSSR entstanden waren, konnten nun genutzt werden.
    Acht Milliarden D-Mark hatte die Bundesrepublik der Sowjetunion zur Verfügung gestellt, die in den Bau von Wohnungen für die aus Deutschland abziehenden Soldaten investiert werden sollten. Das war doch schon eine vielversprechende Grundlage für eine intensive Handelsbeziehung zwischen den beiden Staaten. An der Börse wurden nicht nur die damit verbundenen Gewinnchancen für die deutsche Bauindustrie in Kursgewinne umgemünzt, sondern auch und vor allem war es die politische Annäherung zwischen den beiden Staaten, vertreten durch Bundeskanzler Helmut Kohl und den sowjetischen Präsidenten Michail Gorbatschow, die uns zuversichtlich für den deutschen Aktienmarkt stimmte.
    Diese Zuversicht resultierte aus der Urangst amerikanischer Anleger vor einem Überfall der Kommunisten auf die westliche Welt. Im Falle eines Krieges mit der Sowjetunion werde, so war die unterschwellige Meinung in Amerika, die Bundesrepublik als unmittelbarer Nachbar des kommunistischen Blocks das Glacis sein, auf dem die Kämpfe in der ersten Phase stattfinden würden. Wir in Deutschland waren in den Augen der amerikanischen Finanzwelt durch unsere geografische Lage regelrecht stigmatisiert. Warum also in

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