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Greife nie in ein fallendes Messer

Greife nie in ein fallendes Messer

Titel: Greife nie in ein fallendes Messer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedhelm Busch
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Jahr konkreter werden. Diesen Rhythmus kann man im Grunde jedes Jahr beobachten – vorausgesetzt, es passiert nichts.
    Im August 1990 hatte Saddam Hussein die Kuwaiter überfallen … und ein Jahr später, am Montag, dem 19. August 1991, flogen uns die Kurse um die Ohren. Wieder war es das gute alte Dampfradio, das in den frühen Morgenstunden die Meldung vom Sturz Gorbatschows brachte. Laut einer TASS-Nachricht aus Moskau habe ein Notstandskomitee die Macht in der Sowjetunion übernommen. Gorbatschow sei auf der Krim verhaftet worden. Von Truppenbewegungen in Moskau war die Rede, von Panzerfahrzeugen und von Boris Jelzin. Der Präsident der Teilrepublik Russland habe von einem rechtsgerichteten Staatsstreich gesprochen und die Bevölkerung zum Widerstand und zum Generalstreik aufgerufen.
    Die Börsen in Tokio und Sydney konnten noch während ihrer Börsensitzungen auf diese Nachricht reagieren, die Kurse dort brachen ein.
    In Deutschland hatten die Anleger bis zum Börsenbeginn noch genügend Zeit zur Vorbereitung. Das galt auch für die Mannschaft der Telebörse . Per Rundruf wurden alle Redakteure und Techniker vom bevorstehenden Großkampftag an der Frankfurter Börse unterrichtet. Ohne größere Aufregung, wir hatten uns ja inzwischen eine gewisse Routine für Crash-Tage angeeignet, begannen wir gegen 7 Uhr mit den Recherchen. Die ersten Telefongespräche bestätigten, was wir erwartet hatten: Aus allen Richtungen landeten Verkaufsorders bei den Kreditinstituten. Kleinanleger, große Anleger, Publikumsfonds und Spezialfonds, Inland und Ausland, alle hatten nur ein Ziel: Raus aus deutschen Aktien, und zwar zum ersten Kurs. Kauflimits, die noch Tage zuvor gesetzt worden waren, wurden aufgehoben, Verkaufslimits ebenfalls gestrichen.
     
    Zu Beginn der Börsensitzung bieten die Anzeigetafeln in der Börse ein eindrucksvolles Bild: Die Kurstafeln sind übersät mit Minus- und Doppelminusankündigungen. Kein großer DAX-Wert bleibt von der |95| Ankündigung eines deutlichen Kursverlusts verschont. Erst 20 Minuten nach Börsenbeginn haben die Kursmakler genügend Kurse ermittelt, um einen Indexstand errechnen zu können.
    Vor allem die Banken stehen ganz oben auf den Verkaufslisten. Die Commerzbank rauscht um mehr als 12 Prozent in den Keller, die Dresdner Bank verliert auf einen Schlag 38,50 D-Mark und kostet nur noch 324 D-Mark. Der Kurs der Deutschen Bank findet erst bei knapp 600 D-Mark einen Halt, 64 D-Mark weniger als am Freitag der Vorwoche. Dabei habe die Deutsche Bank ihre Kredite an die Sowjetunion bis zu 70 Prozent wertberichtigt, hören wir aus der Zentrale. Der Kursverlust sei völlig übertrieben. Im Maschinenbau trifft es die MAN-Aktie besonders schlimm, sie beginnt mit einem dreifachen Minus, der Kursverlust am Ende des Börsentages wird fast 50 D-Mark betragen, die Aktie hat nur noch einen Wert von 322 D-Mark.
    Finanzanalysten, die sich auf deutsche Bauwerte spezialisiert haben, sehen große Gefahren für deutsche Baukonzerne wie Holzmann. Die deutsche Bauwirtschaft hatte sich aus dem Acht-Milliarden-Mark-Kuchen, den die Bundesregierung für den sowjetischen Wohnungsbau spendiert hatte, einen Anteil von mindestens 20 Prozent erhofft. 36 000 Wohnungen sollten für die aus Deutschland heimkehrenden Sowjetsoldaten gebaut werden. Diese Aufträge werde man sehr wahrscheinlich erst einmal auf Eis legen, so die Einschätzungen der Experten vor unseren Mikrofonen.
    In Bonn sorgt sich Bundeskanzler Helmut Kohl um die Sicherheit seines Freundes Gorbatschow. Von Sanktionen gegen die neuen Machthaber in der Sowjetunion hält die Bundesregierung gar nichts, noch sei die Nachrichtenlage zu unübersichtlich. Nur zeige sich jetzt, wie wichtig es gewesen sei, gegen alle Kritik aus Deutschland die Verwirklichung der deutschen Einheit voranzutreiben.
     
    Am Ende dieses denkwürdigen Börsentages wurden die Scherben zusammengefegt, wurde Bilanz gemacht. Wieder einmal hatte es die deutsche Börse im Vergleich mit den anderen großen Börsenplätzen in Europa besonders heftig erwischt. Vor allem Japaner sollen schwer »geschüttet«, das heißt verkauft haben, wegen der engen wirtschaftlichen |96| Beziehungen der deutschen Wirtschaft zur Sowjetunion und aus Sorge um die Sicherheit in Deutschland. Da war es wieder, das alte Argument vom Frontstaat Deutschland: Immer noch standen 300 000 sowjetische Soldaten auf deutschem Boden. Würden sie wirklich, wie vereinbart, abrücken? Würde es finanzielle Nachforderungen vonseiten

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