Greifenmagier 1 - Herr der Winde
Bertaud breitete die Hände aus, eine Geste des Hergebens.
Kairaithin war verschwunden. Die Nacht wirkte auf einmal bitterlich leer.
Aber Bertaud war nach wie vor am Leben, um es zu ertragen. Und so war selbst die Bitterkeit, dachte er, etwas, das Wertschätzung verdiente. Ebenso das Versprechen kommender Jahre, in deren Verlauf der bittere Verlust vielleicht - oder ganz gewiss - zu einer freundlicheren Erinnerung würde. Er atmete die trockene Wüstenluft langsam tief ein, überließ das verwüstete Gasthaus dem Sand und dem schlaflosen Wind und kehrte ins Leben und zu seinem König zurück.
Kapitel 16
Jos fand sie auf einem verformten roten Stein. Sie saß dort, wo einst die höchste Weide gelegen hatte. Wo der Stein aufragte, hatte zuvor ein Baum gestanden; ein Bach war hier der Erde entsprungen und zu den unteren Wiesen geflossen. Weder Baum noch Quelle waren geblieben.
Kes hatte die Knie angezogen und die Arme um sie geschlungen; ihre Augen blickten zum Wüstenhimmel hinauf. Dessen Schönheit durchbohrte sie wie ein Speer; sie sehnte sich danach, sich emporzuschwingen und durch eine Luft zu fliegen, die so kristallen und rein war, dass sie im Sternenlicht zersplittern könnte. Sie wünschte sich, nach Westen zu fliegen, bis sie die Sonne einholte, um sich dann selbst in deren geschmolzenes Licht zu gießen; sie wollte, dass Feuer und Wind ihren Körper zerfetzten, auf dass sie sich in der Wüste auflöste. Sie blieb jedoch, wo sie war. Sie hatte gar nicht gewusst, warum sie hier wartete, bis Jos zu ihr trat.
Er kam herbei und blieb am Fuß des Felsens stehen. Jos war groß genug und der Felsen klein genug, dass ihre beiden Gesichter fast auf einer Höhe waren. In Jos' Augen leuchtete das Sternenlicht. Kes wusste, dass ihre eigenen Augen von Feuer glommen.
»Hier hat es dir immer gefallen.« Jos sah sich um, seufzte und lehnte sich an den verformten Felsen, auf dem Kes saß. »Heute ist nur noch die Form der Landschaft gleich geblieben. Man erkennt nicht mal mehr, wo die Quelle sprudelte.«
»Es gefällt mir hier immer noch.«
»Wirklich? Ist es in deinen Augen dasselbe?«
»Nein. Nicht dasselbe.«
»Nein.« Er hielt inne. »Ich habe deine Schwester mitgebracht, denn sie möchte dich sehen. Ich dachte ... Es schien mir eine gute Idee. Sie ist nicht ... Weißt du, Kes, sie hat dich seitdem nicht mehr gesehen. Nicht von dem Zeitpunkt an, als du in die Wüste gingst, und nicht mehr bis zu dem kleinen Schauspiel, das der Safiad heute Abend aufgeführt hat. Du könntest ... versuchen, freundlich zu sein.«
Kes glitt vom Felsen herunter: Sie fuhr wie ein verschwommener Eindruck durch die kurze Distanz, die dessen Oberseite vom Sand trennte. Erst anschließend bemerkte sie, dass Jos eine Hand gehoben hatte, um ihr herunterzuhelfen. Nun senkte er die Hand langsam.
Dann kam Tesme aus der Dunkelheit hervor. Sie ging vorsichtig über den ihr unvertrauten Grund, und Kes hatte nur noch Augen für sie.
»Kes?«, fragte Tesme. Sie lief nicht herbei, um ihre Schwester zu umarmen. Ihr Tonfall war zögernd, fast zweifelnd. Sie trug ein schlichtes Kleid aus ungefärbtem Stoff, wie sie es normalerweise anhatte, um Pferde aufzusuchen, jedoch nicht, wenn sie das Haus verließ; die Haare hatte sie mit einer einfachen Holzperlenkette zurückgebunden. Ihr Gesicht war schmaler, als Kes es in Erinnerung hatte, und eine Spur neuer Falten prägte die Augenwinkel. Tesme trug einen Verband um das linke Handgelenk und bewegte sich steif. Sie lächelte nicht. »Kes?«
»Ja«, erwiderte Kes, trat aber nicht näher.
»Kes?«
»Ja«, wiederholte Kes geduldig.
»Du siehst ... so anders aus.«
»Wirklich?« Kes dachte darüber nach. Sie fand, dass sie sich innerlich anders fühlte. Es fiel ihr jedoch schwer, daran zu denken, wie sie zuvor gewesen war. Als sie nach Erinnerungen an sich selbst suchte, fand sie nichts als verklingende Echos einer Person, die ihr nur vage vertraut erschien. Ein scheues, aber lachendes Kind, ein noch scheueres und stilles Mädchen ... bewegt von Liebe und Sorgen und Erinnerungen, die jetzt, wie es schien, nicht mehr viel mit ihr zu tun hatten. Die Person, an die sie sich erinnerte, war ein Geschöpf der Erde gewesen, dessen Bedürfnisse, Wünsche und Gefühle sie jetzt nicht mehr ohne Weiteres verstand. Als Kes nach Erinnerungen an Tesme suchte ... schwang darin Bedauern mit, sogar so etwas wie Trauer, obwohl Kes im Grunde nicht verstand, warum das so sein sollte. »Ich denke, ich bin auch
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