Greifenmagier 1 - Herr der Winde
... fortgegangen bist. Ich denke, er hatte schon vorher ein Auge auf sie geworfen. Er hat sich in diesem Sommer als eine starke Eiche erwiesen, an die sie sich lehnen konnte. Ich kann mir vorstellen, dass sie, wenn alle anderen sein Haus verlassen, dort bleibt.«
»Oh!«, sagte Kes. Sie freute sich auf eine distanzierte Art und Weise. Sie dachte daran, dass sie Nehoen einst gemocht hatte. Doch er kam ihr alt für Tesme vor. Andererseits ... war Tesme selbst vielleicht im Grunde gar nicht so jung. »Gut.«
»Du solltest dich freuen.« Jos blickte sie mit einer Miene an, die sie nicht deuten konnte. »Die Verbindung wird für beide gut sein. Besonders für Tesme. Sie hat sich bis zur Erschöpfung um dich gesorgt. Nehoen ist von der romantischen Sorte. Er ist genau das, was sie jetzt braucht.«
Kes hatte kein Gefühl für solche Dinge, aber sie vermutete, dass Jos recht hatte.
»Sie bleiben aber nicht in der Gegend, weißt du?«, fuhr Jos fort. »Tesme ... na ja, sie verabscheut schon den Anblick der Wüste. Sie hat von Sihannas gesprochen. Dort findet man gutes Land für Pferde, und sie und Nehoen können sich den Umzug locker leisten, wenn man bedenkt, dass der König einen Gutteil der Entschädigung an die Bewohner von Minasfurt weiterleitet.«
Sihannas. Sihannas am Rand des Deltas. Kes hatte nie im Traum daran gedacht, so weit von Zuhause fortzugehen. Und jetzt war sie so viel weiter gegangen, selbst wenn sie jetzt auf dieser einstigen Hochweide unweit des verwüsteten Dorfes stand. Sie lächelte leicht und spürte, wie der Wüstenwind am Saum ihrer Seele zupfte.
»Macht es dir nichts aus, dass sie so weit fortgeht?«
Kes blinzelte und kehrte in die Gegenwart zurück. »Alles im Land der Erde ist weit von mir entfernt.« Dann formte sich in ihr langsam ein Gedanke, und sie fragte: »Aber wohin gehst du?«
Jos betrachtete sie mit einem seltsamen, angespannten Ausdruck. »Nicht nach Sihannas«, antwortete er schließlich. »Der Safiad möchte mich entweder in seiner Nähe haben, wo er mich stets im Auge behalten kann, oder außerhalb seines Landes - und wer kann ihm daraus einen Vorwurf machen? Casmantium kommt für mich nicht infrage: Wie könnte ich nach allem, was ich getan habe, dem Arobarn gegenübertreten? Auch nicht Linularinum: Ich verabscheue all die durchtriebenen Machenschaften, die auf jener Seite des Flusses allen im Blut zu liegen scheinen.«
Daran hatte Kes noch gar nicht gedacht: Von all den Menschen, die von den kriegerischen Auseinandersetzungen der letzten Zeit betroffen waren, hatte Jos die größten Probleme, einen Ort zu finden, wohin er sich wenden konnte. Auf sie selbst wartete die Wüste und auf die Menschen von Minasfurt ganz Farabiand; alle anderen konnten hoffen, letztlich nach Hause zu ihren Familien zurückzukehren. Doch Kes konnte sich nicht vorstellen, wohin Jos gehen würde.
»Ich dachte«, sagte er, während er ihr ins Gesicht blickte, »dass ich vielleicht mit dir gehe, Kes. Damit ich dich hin und wieder daran erinnern kann, was es bedeutet, Mensch zu sein.«
Kes verstand ihn nicht. »Die Wüste bietet einem Geschöpf der Erde keinen Platz.«
»An manchen Stellen grenzt die Erde an das Feuer, Kes. Wo die Berge der Wüste begegnen, nördlich von Casmantium ... findet man Orte, wo ein Mensch vielleicht leben kann. Oder ...« Er holte tief Luft. »Bei dir war es anders, ich weiß, aber vielleicht findet dein Freund Kairaithin einen Weg, um einen gewöhnlichen Mann in eine Kreatur des Feuers zu verwandeln.«
Kes starrte ihn an; sie war bass erstaunt. »Warum möchtest du das tun?«
Jos trat einen Schritt auf sie zu. Er holte Luft, wollte etwas sagen - und hielt doch inne. Dann begann er mit vorsichtiger Zurückhaltung zu erklären: »Was wartet denn in irgendeinem Land der Menschen auf mich? Hör mich an, Kes! Du bist vielleicht kein Mensch mehr, aber unter den Greifen bist du weiterhin allein; du bist auch keine von ihnen. Denk mal darüber nach! Vielleicht lernst du irgendwann, die Gestalt eines Greifen anzunehmen, aber du wirst nie wirklich einer sein, so wenig, wie Kairaithin ein Mensch ist, wenn er Menschengestalt annimmt. Möchtest du ein Leben lang Einsamkeit ertragen? Als Einzige unter vielen ganz allein?« Seine Stimme war immer schneller geworden, nachdem er einmal zu sprechen begonnen hatte, bis seine Worte schließlich übereinanderpurzelten und seinen Redefluss abwürgten. Dann war er still, während sein Blick auf Kes' Gesicht ruhte.
»Ich hätte eine
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