Grenzen der Sehnsucht
ausstrahle. Dazu trägt auch bei, dass er beim Reden die Stirnfalten hochzieht, seinem Gegenüber tief in die Augen schaut und jeden einzelnen Satz mit Nachdruck ausspricht.
Mit so einem eigenwilligen Auftreten könnte man ihn sich gut als Charakter in einem Almodóvar-Film vorstellen, in dessen Werken die Grenzen zwischen den Geschlechtern an den unterschiedlichsten Fronten zerfließen und in denen es immer um gender confusion geht, um Männer und Frauen, die sich mindestens eine Facette vom anderen Geschlecht zueigen machen und sich mit dieser Rolle neu erfinden.
Bei Draen zeichnete sich das schon in einem frühen Alter ab. Während in anderen Jugendzimmern Poster von Abba, den Rolling Stones oder Bruce Lee hingen, zierten seine vier Wände die offiziellen Werbeplakate großer Kosmetikfirmen. Helena Rubinstein! Yves Saint Laurent! Chanel! Die Düfte der großen weiten Welt.
Auf Großformat hochgezogene, perfekt geschminkte Frauengesichter lächelten milde von den Wänden herab, und auf dem Tisch davor hatte Draen Dutzende von Fläschchen, Döschen und Sprays aufgereiht.
Sein Zimmer war, wie bei so vielen anderen Gleichaltrigen auch, eine zurechtdekorierte Zuflucht vor der Tristesse jugendlicher Orientierungslosigkeit.
Wenige Jahre zuvor, er war gerade zehn, kam er in Deutschland an und verstand kein Wort; als Gastarbeiterkind hatte er lange unter Hänseleien von Mitschülern zu leiden, nicht zuletzt, weil sich seine Eltern die teuren Markenklamotten nicht leisten konnten, mit denen die anderen Kinder täglich in der Schule prahlten. Und irgend-wann stellte er fest, dass er sich mehr zu andern Jungs hingezogen fühlte als zu Mädchen. Eine Isolation, aus der es kaum einen Ausweg gab.
Im glamourösen Ambiente der Parfümerien hingegen, wo er sich schon früh herumgetrieben und viel Taschengeld investiert hatte, sah er eine willkommene Abwechslung zum grauen Alltag, eine strahlend schöne Gegenwelt. Und so baute er sich zu Hause seine eigene kleine Parfümerie auf.
„Schon als Kind schaute ich meiner Mutter immer beim Schminken zu und fand, dass sie sich unter dem Make-up sehr zu ihrem Vorteil verändert“, erinnert sich Draen. „Sie machte das Beste aus ihrem Typ, und wenn ich mit ihr spazieren ging, war ich immer sehr stolz darauf, dass sie so gut aussah. Ich habe ihr damals schon angesehen, dass sie sich wohler damit fühlt. Das hat ihrem Selbstbewusstsein eine besondere Note gegeben.“
Der Vater war jedoch nicht einverstanden mit den Ambitionen seines Sohnes. Eine Visagistenausbildung für einen Mann? Völlig ausgeschlossen. Misstrauisch beobachtete er, wie sich Draen Wochenende für Wochenende vor dem Ausgehen in den King ‘s Club die Wangen puderte und eine fast zentimeterdicke Schicht Make-up auftrug – so auffällig, dass sich in der Stuttgarter Fußgängerzone die Leute nach ihm umdrehten.
„Mir hat das damals Spaß gemacht zu provozieren“, sagt Draen.
Seinem Vater indes überhaupt nicht. Ihn fuchste es, dass sich sein Sohn nicht ihn, sondern lieber die Mutter zum Vorbild nehmen wollte, und eines Abends ist er total ausgerastet.
Freunde von Draen waren gerade zu Besuch, sie wollten gemeinsam ausgehen. Draen saß wie gewöhnlich vor dem Spiegel und zupfte sich die Augenbrauen. Da bekam der Vater beim Anblick der Cremes und Fläschchen plötzlich einen cholerischen Anfall. Er explodierte, geriet so in Rage, dass Draen die Zimmertür verbarrikadieren und mit den Freunden durchs Fenster flüchten musste.
Genützt hat der Wutausbruch wenig.
Jahre später hing Draen die Krankenpflege an den Nagel, um doch noch als Visagist Karriere zu machen und deutschlandweit als erster Mann an einem Counter die französische Kosmetikfirma Clarins – man muss das unbedingt französisch-nasal aussprechen! – zu vertreten. Oder besser: zu repräsentieren! Er war es, der Jerry Hall auf einer TV-Gala den neusten Duft überreichen durfte.
Etwa 15 Jahre nach dem Amoklauf des Vaters. Ein Besuch bei Draens Eltern: An diesem Abend fläzte sich der Papa auf dem Sofa vor dem Fernseher, in der Hand eine Bierflasche. Über dem Bauch spannte sich ein T-Shirt mit der Aufschrift: Treffpunkt Schönheit. Clarins.
Ein Geschenk des Sohnes, das man wohl als eine Art späte Rache verstehen muss, als einen Sieg homosexueller Beharrlichkeit über dumpfe Homophobie. Insofern hat Wolfgang Joop vielleicht doch recht, wenn er von einer schleichenden Homosexualisierung der Gesellschaft redet, als ginge es dabei um eine
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