Grenzen der Sehnsucht
hält Schäufele denn von solchen Befunden?
Er zuckt mit den Achseln. „Das finde ich interessant. Ich würde gerne wissen, was dahinter steckt. Ich würde ja sogar zu einem Therapeuten gehen. Nur: Ich hab dazu einfach keine Zeit!“
Der bekennende Bisexuelle Wolfgang Joop war es, der vor ein paar Jahren als erster in Deutschland auf das Phänomen der „Metrosexualität“ aufmerksam machte. In einem Interview mit dem Spiegel behauptete er, unsere Gesellschaft würde sich schleichend homosexualisieren, weil nun auch die ersten heterosexuellen Männer anfingen, weibliche Seiten an sich zu entdecken, dem Schönheits-Kult zu frönen und auf ihr Äußeres zu achten. Das klang irgendwie kurios: Da trugen also seit neuestem ein paar Familienväter und andere so genannte echte Kerle ein bisschen Duftwasser auf und rasierten sich unter den Achseln, und schon war von einer „Homosexualisierung der Gesellschaft“ die Rede. Dass es deshalb mehr Liebe und Sex unter Männern gibt, darf bezweifelt werden.
Dennoch, eine Generation zuvor wäre beispielsweise eine spezielle Gesichtscreme für Männer undenkbar gewesen –man hätte es als „ein Produkt für Schwule“ verunglimpft. So ist denn manch einer felsenfest davon überzeugt, dass sich hinter dem gewachsenen Bewusstsein für Körperpflege mehr verbirgt als nur eine clevere Marketingstrategie einiger Kosmetikkonzerne.
Wie zum Beispiel Draen Grabar, der zu den Experten der Branche zählt. Für ihn war die Beschäftigung mit Cremes und Düften schon immer eine Berufung. Kosmetik ist für ihn nicht einfach nur eine Notwendigkeit – es ist eine Lebenseinstellung. Und kaum hat man ihm fünf Minuten beim Reden zugehört, hat er einen auch schon am Wickel, und man fragt sich, wie man je daran zweifeln konnte, dass Peelings und Nackencremes zu den wichtigsten Dingen des alltäglichen Lebens gehören.
Stuttgart an einem Sonntag Morgen im September. Wir befinden uns gerade im Grand Café Planie am Charlottenplatz, einem der wenigen Kaffeehäusern in der Stadt, das auch gerne von Schwulen besucht wird.
Ursprünglich arbeitete Draen – ein kroatischer Name, das wird wie ein stimmhaftes sch ausgesprochen – als Krankenpfleger. Unter anderem auch in der Klinik der offenen Tür, einer offenen Psychiatrie im Stuttgarter Zentrum. Behalten wollte man ihn damals allerdings nicht, und zwar aufgrund seines Schwulseins.
„Wir müssen leider Abstand von Ihnen als Mitarbeiter nehmen“, hatten ihm eines Tages die Klinikchefs mit strenger Miene verkündet. „Wir sind der Ansicht, dass ein offen schwuler Mann kein gutes Vorbild ist für psychisch kranke junge Männer, jedenfalls nicht, wenn seine Homosexualität so ins Auge fällt wie bei Ihnen. Sie verhalten sich zu feminin.“
Zu feminin: Diesen Vorwurf handelte man sich in den späten achtziger Jahre schon ein, wenn man es mal wagte, als Mann einen Duft aufzulegen, die Haare zu stylen und modische Klamotten zu tragen.
„Es war mir schon klar, dass ich anders war als die anderen Pfleger, die Birkenstockschuhe trugen und selbstgedrehte Zigaretten rauchten“, erinnert sich Draen.
Aber war er deswegen zu feminin für den Beruf?
Sicher, er hatte da eine Obsession für Kosmetikprodukte, aber davon bekamen Kollegen und Patienten nicht das Geringste mit – denn dass er während der Arbeit kein Make-up auflegte, verstand sich für ihn von selbst.
„Die haben damals nur einen Sündenbock für das schlechte Betriebsklima gesucht“, ist er heute überzeugt. Aber die Kündigung hatte auch etwas Gutes. Inzwischen hat er nämlich bei einer großen Kosmetikfirma eine steile Karriere hingelegt und damit genau das erreicht, was er immer wollte.
Wie muss man sich Draen nun eigentlich vorstellen? Wir kennen uns nun schon seit unserer Teenagerzeit, als wir beide noch bei unseren Eltern wohnten.
Seine Figur und sein Gang sind irgendwie gazellenartig, und tatsächlich fällt rasch ins Auge, dass sich bei ihm männliche und weibliche Züge mischen. Seine Bewegungen führt er in einer Art aus – nennen wir es ruhig mal Grazie –, die zwar herkömmlichen Vorstellungen von Männlichkeit geradezu entgegengesetzt sind, jedoch nicht das Geringste zu tun haben mit dem gekünstelten Abknicken der Handgelenke und der Flitterhaftigkeit einer schrillen Drag Queen. Dazu nimmt er seine weibliche Seite viel zu ernst.
Seine sonore Stimme ist tiefer als die der meisten Männer, und häufig bekommt er zu hören, dass sie etwas Vertrauenserweckendes
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