Grenzen setzen – Grenzen achten
die Israeliten waren nicht nur die politischen Grenzen wichtig, sondern auch die religiöse Grenzziehung, die sie vor allem in der Fremde vollzogen. Juden waren zur Zeit Jesu in der ganzen Welt verstreut. Doch sie grenzten sich klar ab von den Gewohnheiten der Menschen in ihrer Umgebung. Sie hielten sich an ihre Gesetze, an ihre Speisevorschriften und an die Beschneidung. Die Errichtung der religiösen Grenzen half den Juden, die Gruppenzugehörigkeit zu stärken und die eigene Identität in der Fremde beizubehalten. Heute sind wir in Gefahr, die religiöse Identität immer mehr aufzugeben. Wir passen uns den gesellschaftlichen Verhältnissen an und trauen uns nicht, uns in gesunder Weise abzugrenzen. Abgrenzen heißt nicht abschotten. Wer ein Getto erzeugt, der kann die Aggression gegen die Menschen in seiner Umgebung schüren. Doch wer die Grenzen auflöst, der verliert an Kraft und Klarheit. Er wird bald nicht mehr wissen, wer er eigentlich ist und aus welcher Wurzel er lebt.
Partnerschaft – Grenzen nach innen und außen
Was im politischen Bereich gilt, das ist auch für die persönlichen Beziehungen wichtig. Sowohl in der Ehe als auch in der Gemeinschaft und bei der Arbeit muss ich meine eigenen Grenzen beachten und die des anderen respektieren. Ich habe schon darauf hingewiesen: Viele Ehen gehen daran zugrunde, dass einer ständig die Grenzen des anderen überschreitet, alles vom anderen wissen will, ihn ständig kontrolliert und immer wieder in ihn eindringt. Gerade das Gelingen einer engen Beziehung hängt vom guten Umgang mit den eigenen und den Grenzen desanderen ab. In der Phase des Verliebtseins gilt dies besonders. Die bereits erwähnte Psychotherapeutin Margrit Erni macht auf die Gefahr aufmerksam: „Die Faszination der ersten Liebe will Grenzen nicht wahrhaben, sie hält Unmögliches für erreichbar, fordert, überfordert und zerbricht.“ Man meint, alle Unterschiede überspringen zu können. Doch dann merkt man schnell, dass man nicht nur den Partner oder die Partnerin geheiratet hat, sondern die ganze Familie und ihr soziales und kulturelles Umfeld. Man meint, den Altersunterschied nicht beachten zu müssen. Doch nach einigen Jahren erfährt man schmerzlich, wie alt oder jung der Partner ist und wie weit man innerlich voneinander entfernt ist, gerade weil man die Unterschiede nicht wahrhaben wollte.
In der Ehe erfahren beide Partner, dass sie schicksalsgegebene Grenzen in sich tragen. Jeder hat durch seine Erziehung etwas mitbekommen, was er nicht einfach ablegen kann. Im Miteinander erkennt man, dass die Reaktion auf das Verhalten des anderen von den eigenen Vater- und Muttererfahrungen bestimmt ist. Es ist ein schmerzlicher Erkenntnisprozess, dies wahrzunehmen. Und nur, wer sich dieser Prägungen bewusst wird, kann sich mit ihnen aussöhnen und sie auf diese Weise langsam überschreiten. Jürg Willi, der sich als Therapeut intensiv mit dem Gelingen der Zweierbeziehung auseinandergesetzt hat, meint, die Ehe gelinge nur, wenn die Ehepartner Grenzen nach innen und nach außen ziehen. Nach außen müssen sich die Eheleute erst einmal gegenüber ihren Ursprungsfamilien abgrenzen: „Der Partner erhält eindeutig Vorsprung vor Eltern und Geschwistern. Neurotisierte Familien hingegen versuchen oft mit verschiedenen Abwehrmanövern, den Sohn oder die Tochter weiter an sich zu binden, sie nicht freizugeben.“ Die neu gegründete Familie muss sich den eigenen Schutzraum schaffen, innerhalb dessen sie einen Frieden erfahren kann, wie er in derSprache der Bibel den Grenzen verheißen ist. Wenn die Familie gut zusammengewachsen ist, wird sie das eigene Haus auch anderen gerne öffnen. Auch gegenüber den Kindern müssen sich die Eltern gut abgrenzen. Sie dürfen nicht jede Spannung den Kindern zeigen. Schädlich ist es, wenn der Vater oder die Mutter in Partnerschaftskonflikten die Grenze zum Kind überschreitet und das Kind für sich als Ratgeber oder Verbündeten benutzt, dem man alles über den schwierigen Ehepartner erzählt. Diese Grenzüberschreitung überfordert das Kind und kann sich verhängnisvoll bei ihm auswirken.
Genauso wichtig ist in der Partnerschaft aber, so Erni, eine Grenzziehung nach innen. „Der symbiotischen Beziehung fehlt eine gesunde, innere Abgrenzung; man möchte ganz eins sein, sich an den anderen verlieren, in ihm aufgehen. Dieses romantische Ideal der Harmonie bedarf nach außen eines besonders starken Schutzwalls: Die eigene Idylle, die als einmalig erlebt wird, darf
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