Grenzen setzen – Grenzen achten
durch keine fremden Einflüsse gestört werden.“ Zuviel Nähe und ständiges Einssein hindern den einzelnen daran, ganz er selbst zu sein. Man kann nicht mit dem anderen eins sein, ohne dabei seine Identität zu verleugnen. Hans Jellouschek spricht vom Totalanspruch an den anderen. Im Verliebtsein hat man den Eindruck, man würde sich genügen. Man bräuchte keine anderen Freunde. Man sei nun wunschlos glücklich. Doch dieser Zustand kann nicht festgehalten werden, ohne dass die Ehe Schaden erleidet. Jellouschek vermutet, der Grund für diesen Totalanspruch auf den Ehepartner sei das Ausdünnen des zwischenmenschlichen Klimas im Beruf und in der Gesellschaft auf reine Sachbeziehungen, „die den Menschen hungrig und durstig nach Wärme und Geborgenheit zurücklassen. Das hat natürlich Folgen für das Zusammenleben des Paares. Das Bedürfnis nach echter Beziehung richtet sich auf den einen, einzigen Partner. Von ihm wird erwartet, dass er das Loch, dastagsüber entstanden ist, am Abend, wenn man sich wieder trifft, nun endlich auffüllt.“
Vorraussetzungen guter Zusammenarbeit
In Unternehmen gibt es häufig Probleme, wenn Bereichsleiter ihre Grenzen überspringen und sich ständig in die Bereiche anderer einmischen. Statt sich um die eigenen Probleme zu kümmern, wühlen sie in den Schwierigkeiten der anderen. Ein guter Arbeitsprozess verlangt aber, dass die Grenzen eingehalten werden. Wenn mir ständig jemand in meinen Bereich hineinredet oder gar Aufgaben erledigt, die in mein Ressort fallen, ärgert es mich. Es gibt unnötig Sand im Getriebe. Es braucht eine klare Abgrenzung, damit alle gerne und gut arbeiten. Gelingende Zusammenarbeit setzt gute Abstimmung voraus. Und das verlangt ein Öffnen der eigenen Grenzen gegenüber den anderen Firmenbereichen. Es gibt auch Firmen, in denen jede Abteilung ein eigenes Reich aufbaut, das sie den anderen gegenüber abschottet. Solch enge Grenzen werden häufig aus Angst und aus einem übertriebenen Machtbedürfnis gezogen. Mit solchen Menschen kann man kaum zusammenarbeiten. Sie sind nur am eigenen Reich interessiert. Beides ist wichtig, eine klare Grenzziehung und eine gute Durchlässigkeit der Grenzen. Hierin liegt die Voraussetzung für ein friedliches und gedeihliches Zusammenarbeiten.
16. Ihre Grenze bedachte sie nicht
Von Mitteln gegen Erschöpfung und Ausbrennen
Risiken der Selbstüberschätzung
Unrealistische Selbstüberschätzung birgt immer Risiken. Wille zur Macht kann blind machen – und gerade dadurch gefährlich werden. Im Buch der Klagelieder drückt ein frommer Israelit seinen Schmerz aus über den Untergang der Stadt Jerusalems im Jahre 586 vor Christus. Er beschreibt, wie die Stadt schwer gesündigt hatte und daher zum Abscheu für alle Menschen geworden ist. Ein Grund ihres Fehlverhaltens war: „Ihre Grenze bedachte sie nicht. Entsetzlich ist sie gesunken, keinen hat sie als Tröster.“ (Klg 1,9) Weil sie ihre eigene Grenze nicht beachtet hat, ist sie in den Staub gesunken. Israel hatte seine eigene Kraft überschätzt. Es hat mit fremden Mächten taktiert und gemeint, es könne auf diese Weise seine Macht erhalten. Doch die Könige waren blind für die weltpolitischen Zusammenhänge. Sie schlossen die Augen vor der eigenen Bedeutungslosigkeit und Begrenztheit. Das hat zum Untergang der Stadt und zur babylonischen Gefangenschaft geführt. Nun ist Jerusalem nicht nur entsetzlich gesunken. Die Stadt hat auch keinen Tröster. Die Menschen um sie herum haben das Gefühl, sie sei selbst an ihrem Untergang schuld.
Was hier historisch und in Bezug auf die Stadt Jerusalem beschrieben wird, gilt für uns noch heute. Es gilt für Gesellschaften, aber auch für Individuen. Menschen, die ihre eigene Grenze nicht beachten, übernehmen sich. Sie bauen sich einen Turm, zu dem sie nicht die Mittel haben. Schon Jesus hat davor gewarnt,sein Lebenshaus größer zu beginnen, als es der eigenen Psyche entspricht: „Wenn einer von euch einen Turm bauen will, setzt er sich dann nicht zuerst hin und rechnet, ob seine Mittel für das ganze Vorhaben ausreichen? Sonst könnte es geschehen, dass er das Fundament gelegt hat, dann aber den Bau nicht fertigstellen kann. Und alle, die es sehen, würden ihn verspotten und sagen: Der da hat einen Bau begonnen und konnte ihn nicht zu Ende führen.“ (Lk 14,28–30) Wer seine eigene Begrenztheit nicht annimmt, wird Spott und Schadenfreude ernten, sobald die Menschen seine Selbstüberschätzung wahrnehmen. Es gibt dann
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