Grenzen setzen – Grenzen achten
den Mut aufzubringen, auszubrechen und sich in die Weite des Lebens zu wagen.
Im Gefängnis der Gestapo hat der Jesuit Alfred Delp angesichts der drohenden Hinrichtung durch die Nazis auf einen Zettel geschrieben: „Der Freiheit wird der Mensch nur teilhaft, wenn er seine eigenen Grenzen überschreitet.“ In der Enge des Gefängnisses hat Delp eine innere Freiheit erfahren, die ihm niemand nehmen konnte, selbst durch den Tod nicht. In den ersten Nächten im Gefängnis hatte Delp sich selbst fast aufgegeben, so unerträglich waren die Schmerzen der Folter. Doch nach einigen Tagen der Haft hat er die Grenzen seiner eigenen Angst vor den Schmerzen überschritten. Und so erlangte er eine Freiheit, die selbst seine Schergen beeindruckte. In der größten äußeren Enge hat er sich in die Weite Gottes gestellt. Was er erfahren hat, das gibt er – geschrieben mit gefesselten Händen – an seine Freunde in der Freiheit weiter mit den Worten: „Man muss die Segel in den unendlichen Wind stellen, dann erst werden wir spüren, welcher Fahrt wir fähig sind.“
15. Er verschafft deinen Grenzen Frieden
Von Voraussetzungen für ein gedeihliches Miteinander
Eine Verheißung
Es gibt ein chinesisches Märchen, das eigentlich eine Verheißung und einen Traum vom Frieden illustriert: „Als der Krieg zwischen den beiden benachbarten Völkern unvermeidlich war, schickten die feindlichen Feldherrn Späher aus, um zu erkunden, wo man am leichtesten in das Nachbarland einfallen könnte. Und die Kundschafter kehrten zurück und berichteten ungefähr mit den gleichen Worten ihren Vorgesetzten, es gäbe nur eine Stelle an der Grenze, um in das andere Land einzubrechen. Dort aber, sagten sie, wohnt ein braver, kleiner Bauer in einem kleinen Haus mit seiner anmutigen Frau. Sie haben einander lieb, und es heißt, sie seien die glücklichsten Menschen auf der Welt. Sie haben ein Kind. Wenn wir nun über das kleine Grundstück in Feindesland einmarschieren, dann würden wir das Glück zerstören. Also kann es keinen Krieg geben. Das sahen die Feldherren denn auch wohl oder übel ein, und der Krieg unterblieb, wie jeder Mensch begreifen wird.“
Weil an der Grenze ein glückliches und frommes Paar mit seinem Kind lebt, deshalb darf die Grenze nicht verletzt werden: Das ist ein schönes Bild für den Frieden, den Gott unseren Grenzen verheißt. Es erscheint uns zu unrealistisch. Denn die Tyrannen dieser Welt und die Mächtigen in der Wirtschaft werden sich wohl kaum um das Glück eines Bauern und seiner Frau kümmern. Ihnen gehen die eigenen Interessen vor. Und doch besitzen die Mächtigen ein Gespür dafür, dass man Glück nichteinfach zerstören darf. An jeder Grenze dieser Welt wohnen Menschen, die nichts anderes wollen als friedlich miteinander leben, als zufrieden und glücklich werden. Und jede Grenzverletzung zerstört das Glück von Menschen. Wenn sich die Mächtigen vom Glück kleiner Leute berühren lassen, dann wird wahr, was Gott uns verheißen hat: Dass er unseren Grenzen Frieden verschafft.
In der Bibel finden wir wunderbare Bilder von diesem Frieden, den Gott den Grenzen der Menschen nicht nur verheißt, sondern schenkt. Beim Psalmensingen berühren mich immer wieder die Verse aus Psalm 147: „Jerusalem, preise den Herrn, lobsinge, Zion, deinem Gott! Denn er hat die Riegel deiner Tore festgemacht, die Kinder in deiner Mitte gesegnet; er verschafft deinen Grenzen Frieden und sättigt dich mit bestem Weizen.“ (Ps 147,12–14) Vorgestellt wird das Bild einer friedlichen Stadt mit sicheren Toren, die das Eindringen der Feinde verhindern. Innerhalb der Grenzen dieser Stadt fühlen sich die Menschen gesegnet und geschützt. Sie haben Anteil an der Fülle des Lebens, das Gott ihnen schenkt. Und sie dürfen dankbar den Weizen genießen, mit dem Gott sie sättigt.
Politische und religiöse Grenzziehung
Wir können die Verse aus Psalm 147 politisch und psychologisch auslegen. Politisch gesehen zeigt er, wie wichtig es ist, dass die Völker ihre eigenen Grenzen und die Grenzen der Nachbarvölker anerkennen. Kriege haben immer mit Grenzverletzungen zu tun. Ein Volk möchte seine Grenzen auf Kosten anderer Völker erweitern. Das führt zum Kampf. Wenn die anderen Völker stärker geworden sind, werden sie zurückschlagen und ihre Grenzen weit in das eigene Gebiet hinein ausdehnen.Der Frieden verlangt klare Grenzen und die gegenseitige Anerkennung dieser Grenzen. Nicht umsonst waren den Menschen der Antike Grenzen heilig.
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