Grenzgaenger
beachtete sie nicht.
Er sah Toppe an. «Ich möchte Sie bitten, jetzt unser Haus zu verlassen. Wir haben Ihnen nichts mehr zu sagen.»
Toppe blieb höflich, befreite sich, so schnell es eben ging, aus dem Sessel. Van Appeldorn schlenderte zur Tür und blieb vor einem Gemälde stehen, das dort hing: ein abstrakter Frauenakt.
«Sehr hübsch», sagte er gedehnt.
Sie war hinter ihn getreten.
«Ja, nicht wahr? Das war die Morgengabe meines Mannes zu meinem vierzigsten Geburtstag.»
Das Lächeln um ihren hölzernen Mund war kokett.
Toppe hinkte zum Ausgang.
«Foto», bellte van Appeldorn hinter ihm.
«Ach ja.» Toppe drehte sich noch einmal um. «Wir wollten Sie um eine Fotografie Ihres Sohnes bitten. Sie sollte möglichst neueren Datums sein.»
«Tja», Küsters sah seine Frau an.
«Tut mir leid», lächelte sie, «das letzte Foto von Carl ist das von seiner Einschulung. Das dürfte Ihnen kaum weiterhelfen.»
Toppes bedrückte Stimmung schlug plötzlich in Wut um. Es reichte. Er sah ihr in die Augen. «Das glaube ich Ihnen nicht, Frau Küsters.»
Sie erwiderte seinen Blick, ihre Pupillen wurden noch kleiner.
Dann drehte sie sich wortlos um und ging wieder ins Wohnzimmer. Ihr Mann folgte ihr.
Nach zwei Minuten kehrte sie mit einem Foto zurück, das sie Toppe mit spitzen Fingern hinhielt. Es zeigte Carl Maria Küsters vor seinem Geschäft neben seiner Kastenente.
«Wie alt ist das Foto?», fragte Toppe.
«Zwei Jahre.»
Dann ging sie entschlossen zur Tür und öffnete sie weit. «Adieu, meine Herren.»
Toppe nickte einen knappen Gruß. Ihm fehlten die Worte.
Anne Martini schloss ihre Ladentür von innen ab.
Jetzt fuhr der schon zum vierten Mal vorbei. Sie grüßte ihn nicht.
Zwei lange Tage frei. Sie löschte das Licht, schaltete die Zeitschaltuhr für die Schaufensterbeleuchtung ein und ging nach hinten, um das Geld aus der Kasse zu nehmen. Die neuen Holzpuzzles würde sie zu Hause auszeichnen, morgen oder übermorgen. Sie bückte sich, um den Karton unter dem Ladentisch hervorzuziehen.
Jemand klopfte an die Tür. Verdammt, das konnte eigentlich nur …
Sie blieb in der Hocke und lugte um die Ecke. Richtig, Küsters. Der Letzte, den sie heute noch sehen wollte.
Er bollerte mit der Faust gegen die Scheibe. Kein Wunder, er wusste, dass sie noch im Laden sein musste. Sie blieb hinter der Theke, aber er ging nicht weg.
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Vierundzwanzig
«Die müssen unheimlich hohe Heizkosten haben.» Van Appeldorn kräuselte ironisch die Lippen.
«Wie?», fragte Toppe.
«Na, das ist doch keine Frau, das ist eine Gefriertruhe.»
«Ja. Elterliche Liebe, ich dachte, mich trifft der Schlag.»
Sie warteten an der roten Ampel vor der Rampenbrücke.
Das vegetarische Restaurant hatte über die Pfingsttage «Leider geschlossen».
Toppe schwitzte. «Aber deshalb wird man doch nicht zum Mörder, oder?»
Van Appeldorn grinste. «Woher soll ich das wissen? Du bist doch der Experte für Psychologie.»
Er hielt gleich am Eingang. «Ich würde gern mal kurz nach Hause fahren. Marion ging’s heute Morgen nicht so gut. Bin in einer Stunde wieder da, in Ordnung?»
«Ja, sicher. Was hat sie denn?»
«Ach, sie meint, es wäre der Kreislauf, aber ich weiß nicht.»
Im Büro saß nur Astrid und langweilte sich.
«Wo sind denn alle?»
Sie half ihm, die Krücken zu verstauen.
«Heinrichs ist auf einem Kindergartenfest bis sechs Uhr. Er hat die Telefonnummer dagelassen. Breitenegger sagte nur, er brauche mal frische Luft, und war weg. Ich weiß auch nicht, wo der bleibt.»
«Und Ackermann?»
«Der ist unten auf dem Revier Kaffee trinken.»
Er schälte sich mühsam im Sitzen aus seinem viel zu dicken Jackett.
«Schon was gehört?»
«Nee, nichts.» Sie öffnete das Fenster und zündete sich eine Zigarette an. «Ich versteh das nicht. Es kann doch nicht so schwer sein, so ein Auto zu finden.»
Toppe zeichnete eine Kastenente auf ein Blatt Papier, eine Kastenente und zwei Polizeiwagen. Oben links malte er eine kleine Sonne, dann einen Baum. «Ach, das kenne ich schon. Und der ED?»
«Noch nichts.»
Er hatte einen Grad von Müdigkeit erreicht, in dem er kleinste Ausschnitte kristallklar, fast unerträglich akzentuiert, wahrnahm.
Sie stand am Fenster und betrachtete müßig das Kommen und Gehen der Leute auf dem Parkplatz. Wieder trug sie diesen kurzen Jeansrock.
Mit einem scharfen Geräusch schob er die Zeichnung beiseite, und sie wandte sich um.
«Wenn er’s wirklich war …», sagte sie, und
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