Grenzgaenger
also gekommen und das sei zu erwarten gewesen.»
«Ja.» Ihre Lippen waren wie mit einem Lineal gezogen.
«Wie meinten Sie das?», beharrte Toppe.
«Nun, Carls Weg führte, solange ich mich erinnern kann, steil nach unten. Unsere Versuche, diese Entwicklung in eine andere Richtung zu lenken, hat er leider nicht für sich nutzen wollen. Seit anderthalb Jahren haben wir keinerlei Kontakt mehr.»
«Haben Sie ihn rausgeschmissen?», wollte van Appeldorn wissen.
«Ja.»
«Nein, nicht direkt», versuchte es ihr Mann, «wir haben uns gestritten, aber …»
Wieder unterbrach sie ihn, ohne ihn anzusehen. Sie konzentrierte ihre ganze steinerne Höflichkeit auf Toppe.
«Also, ich zumindest habe ihm deutlich gesagt, dass meine Geduld und meine Großzügigkeit ein Ende haben und dass in diesem Haus für ihn kein Platz mehr ist. Wissen Sie, auch elterliche Liebe hat eine natürliche Grenze. Carl hat es immer ausgezeichnet verstanden zu nehmen, aber selbst ein Dankeschön hielt er für überflüssig.»
Toppe schluckte schwer an so viel elterlicher Liebe.
«Wie war denn sein beruflicher Werdegang?»
Sie lachte und stand auf. «Eine ausführliche Schilderung dieses ‹Werdegangs› würde Ihre Zeit wohl doch zu sehr strapazieren. Aber vielleicht erzählst du den Herren ein paar kleine Ausschnitte, dann kann ich mich um den Fisch kümmern. Schließlich hast gerade du dich ja immer wieder von ihm einwickeln lassen.»
Küsters reagierte nicht darauf. Sachlich und scheinbar unbeteiligt berichtete er: Carl hatte nach der Obertertia das Gymnasium ohne Schulabschluss verlassen. Trotzdem hatte er durch die guten Verbindungen seines Vaters eine Lehre als Chemielaborant begonnen, die er allerdings nach einem Jahr abgebrochen hatte.
«Warum?», fragte Toppe.
«Er konnte sich mit dem Beruf nicht identifizieren. Er wollte Sozialpädagoge werden, mit Menschen zu tun haben.»
So hatte er an der Fachoberschule seinen Schulabschluss nachgeholt und danach die Fachrichtung Sozialpädagogik eingeschlagen. Im Rahmen dieser Ausbildung hatte er sein Praktikum im Heilpädagogischen Heim begonnen und war rausgeflogen. Danach hatte er mehr als zehn Jahre lang so ziemlich alles gemacht: kurze Jobs bei der Margarine-Union und bei einer Autoverwertung, ein Volontariat bei der Zeitung, zwei AB-Maßnahmen in Jugendheimen. Herr Küsters wusste die Reihenfolge nicht mehr.
«Er hat sogar ein paarmal Arbeitslosenunterstützung bekommen», sagte Luisa Küsters, die wieder ins Zimmer kam. Sie musste mitgehört haben. «Aber die meiste Zeit hat er bei uns schmarotzt. Tja, und dann hat mein Mann ihm den Führerschein auch noch bezahlt, ihm ein brandneues Auto geschenkt und dieses spleenige Geschäft eingerichtet.»
Sie setzte sich nicht wieder hin, sondern stand auffordernd neben dem Sessel ihres Mannes. Toppe rührte sich nicht. Van Appeldorn verschränkte die Arme.
«Damit hat er, wie Sie sich denken können, Bankrott gemacht. Und das ist das Ende der Geschichte. Seitdem habe ich Carl nicht mehr gesehen, und Sie werden sich vorstellen können, dass ich auch keinen Wert darauf lege.»
«Tja, es scheint wohl Kinder zu geben, die einem gleich nach der Geburt völlig entgleiten», sagte van Appeldorn in gelangweiltem Konversationston, aber Toppe nahm einen harten Klang in seiner Stimme war, der zeigte, wie sehr auch van Appeldorn mit seiner Abneigung gegen diese Frau zu kämpfen hatte.
Es klopfte, und van Gemmern steckte den Kopf zur Tür herein. «Wir wären dann so weit.»
«Haben Sie gefunden, wonach Sie suchten?» Diesmal klang sie spitz.
Van Gemmern machte eine unbestimmte Kopfbewegung und sah Toppe an. «Wir sehen uns dann im Präsidium.»
Unschlüssig ließ sich Luisa Küsters auf der Sesselkante nieder. «Ich sehe nicht, wie wir Ihnen weiterhelfen können. Dies ist wirklich der letzte Ort, an dem Sie Carl Maria suchen sollten. Ich nehme an, er wird irgendjemandem, der ihn noch nicht durchschaut hat, auf der Tasche liegen. Wer das sein könnte, entzieht sich, Gott sei Dank, meiner Kenntnis.»
«Was machen eigentlich Ihre anderen Kinder?», wollte Toppe wissen.
«Luisa ist Studienrätin, und Hanns Heinrich wird möglicherweise Arzt, falls er tatsächlich einmal eine Prüfung bestehen sollte. Warum fragen Sie?»
«Und was hat Ihr verstorbener Sohn gemacht?»
Sie stand abrupt auf. «Ich glaube nicht, dass ich darüber sprechen muss.»
«Er war Tischler», antwortete ihr Mann und erhob sich ebenfalls.
«Schreiner», schnappte sie, aber er
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