Grenzgang
gekommen, dass alle Ehen in der Form eines Klischees enden, wenn sie denn enden. Ich meine, es gibt Millionen von Ehen, aber nur zwei oder drei Weisen, wie sie in die Brüche gehen: Betrug oder Langeweile. Vielleicht ist Überbeanspruchungdurch den Beruf eine dritte. Entschuldigung, ich will nicht zynisch erscheinen.«
»Schon in Ordnung.« Karin Preiss nickt und zieht die Nase hoch, und ohne nachzudenken, wendet Kerstin sich ihr mit einer halben Körperdrehung zu und sagt:
»Zum Wasser geradeaus.« Ihr fällt ein, wie sie vor zwei Wochen gedacht hat, dass sie einander irgendwann umarmen werden, und als es geschieht, ist sie lediglich überrascht, wie angenehm und unspektakulär es sich anfühlt. Viel unspektakulärer als der Wein zum Beispiel. Sie ist fast einen Kopf größer als Frau Preiss, und in diesem Moment tut das gut. Vielleicht ist doch noch nicht alles zu spät, vielleicht ist ihr Zurückschrecken vor Nähe nicht unheilbar, sondern lässt sich durch behutsame Behandlung kurieren, mit Wein, Umarmungen und der banalen Einsicht, dass auch in strahlend hellen Badezimmern dein Leben nicht immer glänzend aussieht.
»Nein, ich werde nicht weinen«, sagt Frau Preiss in der Nähe ihrer Schulter. »Stattdessen biete ich Ihnen das Du an – Karin.«
»Kerstin.«
Sie lösen die Umarmung und schütteln die Köpfe, als wollten sie sagen: Was soll man sagen? Und prosten einander zu.
Mit den Knöcheln der Zeigefinger tupft Karin Preiss sich die Augenwinkel.
»Ich habe nämlich beschlossen, nicht zu leiden. Und: Ich habe eingesehen, dass ich meinem Mann in dieser Sache nicht helfen kann.«
»Nicht helfen kann ?«
»Kann.« Der letzte Rest des Weines geht im Wechsel in beide Gläser, füllt sie noch einmal zur Hälfte und scheint Kerstin ein Schicksal zu besiegeln, das sie erst zu ahnen beginnt. Karin macht eine Pause, trinkt und stellt sich wie zuvor an das Geländer des Balkons. Die Hornberger Straße verschwindet hinter den dichten Hagebuttensträuchern, nur der Standort einer Laterne vor der Garage ist gerade so auszumachen.
»Wir sind ungefähr gleich alt, oder?«
»Du hast mir kürzlich zum Vierundvierzigsten gratuliert.«
»Ich bin zweiundvierzig. Unsere Kinder sind dabei, erwachsen zu werden. Mein Mann arbeitet immer. Du bist geschieden.« Abrupt wendet sie den Kopf, beinahe erschrocken. »Verzeihung, darf ich fragen, ob du …?«
»Nein, niemanden.« Da ist etwas in der Art, wie ihre Blicke sich sofort wieder trennen, was Kerstin nicht gefällt und die vorübergehend aufkeimende Hoffnung auf Nähe in der Gewissheit erstickt, in der Falle zu sitzen. Sie sitzt in irgendeiner beschissenen Falle.
»Das Gefühl, auf den Punkt gebracht, lautet so: Wir sind nicht mehr zwanzig, und das Leben liegt vor uns. Wir sind aber auch noch nicht siebzig, und das Leben liegt hinter uns. Wir sind Mitte vierzig, und das Leben läuft an uns vorbei.« Sie trinkt.
Kerstin sagt nichts mehr. Es ist zu spät.
»Verstehst du?«
»Nicht ganz.« Bergenstadt verschwimmt vor ihren Augen. Die wenigen Lichter im Tal werden breit, zerfließen in einer ziellosen Bewegung. Sie hat auf Freundschaft gehofft und bekommt Komplizenschaft angeboten.
»Ich will nicht Abend für Abend zu Hause sitzen und darauf warten, dass ich zu müde werde, um noch weiter zu warten. Ich bin müde.«
»Ich auch. Sollte mich bald auf den Weg machen.«
»Kurz und gut, ich werde mir so einen Pärchenclub mal ansehen.« Karin hält ihr Glas, ohne zu trinken, schwenkt nur den Wein hin und her und nickt.
»Wie bitte?«
»Ja. Sogar im Boten gibt’s Inserate. Nicht hier aus der Gegend, aber bei Gießen zum Beispiel. Sind mir früher nie aufgefallen, aber seit dieser Unterhaltung mit meiner Tochter hab ich drauf geachtet.«
»Das ist jetzt nicht dein Ernst.« Dabei ist sie etwas wenigererschrocken, als sie glaubt sein zu sollen. Was hat sie schließlich erwartet? »Sag, dass das nicht dein Ernst ist.«
»Ansehen, hab ich gesagt. Man geht keine Verpflichtung ein, wenn man so einen Club betritt. Alles kann, nichts muss, wurde mir von einer freundlichen Frau am Telefon gesagt. Ist das Motto da. Und es klang überhaupt nicht schmierig.«
»Du hast …?«
» Bohème , klingt doch nach was. Die Fotos im Internet sehen sehr stilvoll aus.«
»Ohne mich.«
»Überleg’s dir.«
»Ohne mich.« Kerstin leert ihr Glas und ist einen betrunken klarsichtigen Moment lang in Versuchung, es zwischen ihnen beiden auf den Kacheln des Balkons zu zerschmettern. Wut steigt
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