Grenzgang
und hängte sie über die Schultern. Nach Hause wollte sie, nur schnell nach Hause.
Sie sah Nobs vom Autoskooter kommen, aber als sie ihn fragte, wo Daniel stecke, schüttelte er nur den Kopf und ging weiter ins Zelt. Mit einer Miene, die sagte: Feierabend. Da schien sich zum ersten Mal im Leben der beiden Freunde zu ereignen, was ihnen noch häufiger begegnen würde: Jede Zweisamkeit macht einen Dritten einsam. Und so ein großäugig sommersprossiges Lächeln wie das der kleinen Linda Preiss stellte auch bewährte Männerfreundschaften auf die Probe. Auf dem Frühstücksplatz hatte sie die beiden beobachtet, weltvergessen in dieser Blase aus Gemeinsamkeit, unschuldiger als Babys und dabei ernst wie Staatsmänner. Zum Heulen schön.
Reiß dich zusammen, Kerstin. Ihr Motto für die drei Grenzgangstage.
Sie ließ den Blick schweifen und entdeckte ihren Sohn am Rand der Festwiese, beim Ausgang Richtung Sport- und Tennisplatz, neben Linda. Die beiden aßen etwas aus einer Papiertüte, Mandeln oder Bonbons oder Gummibärchen. Irgendwas, das die Süße des Tages in sich trug. Sie konnte da jetzt nicht stören. Jede Minute, die Daniel mit Linda verbrachte, war eine, in der er nicht an das dachte, was er am Kommersabend gesehen hatte, eine Minute im Windschatten der Wirklichkeit, und deshalb musste sie jetzt die Arme verschränken und aus der Ferne teilhaben am Glück ihres Sohnes. Sowieso wartete zu Hause nichts auf sie, was ihr Herz mehr erwärmen würde.
Daniel warf eine Mandel oder Nuss in die Luft und fing sie mit dem Mund auf. Linda klatschte. Hinter Kerstin stoppten Schritte.
So sei es denn, dachte sie.
»Tach. Oder besser: ’n Abend.« Ein junger Kerl, den sie sich nicht erinnern konnte schon einmal gesehen zu haben, trat neben sie, nickte und sah ihr so direkt ins Gesicht, wie Männer das nach dem fünften oder sechsten Bier eben tun. Auf Anfang oder Mitte zwanzig schätzte sie ihn.
»Guten Abend.«
»Sie sinn Frau Bamberjer, richdich?« Er hatte ein nichtssagendes Gesicht, halb Milchbube und halb Triefnase, mit hellblonden kurzen Haaren und einer dieser Brillen, die man von den gesetzlichen Krankenkassen ohne Zuzahlung bekommt. Die Trübe seines Blicks hatte auch mit den Rückständen auf den Gläsern zu tun, die an die Luft im Festzelt erinnerten und an das Kondenswasser am Gestänge. Spaßrückstände, aber fröhlich sah er nicht aus.
Kerstin beschränkte ihre Antwort auf ein Nicken.
»Ich will ganz ehrlich sein un direkt. Un ich hab auch schon was getrunken, geb ich zu.«
»Sieht man«, sagte sie.
»Große Gaudi, was?« Er sah sich um, und Kerstin überlegte, einfach loszugehen, ihren Sohn aus dem Bannkreis der kleinen Linda Preiss zu ziehen – die warf gerade eine Süßigkeit in die Luft, bekam sie auf die Backe und lachte – und nach Hause zu gehen. Sie hatte an diesem Tag vier- bis fünftausend angetrunkene Männer gesehen. Es reichte. Sie dachte das Wort ›Kopfschmerzen‹, noch bevor sie spürte, dass sie welche hatte.
»Ja, aber was ich sa’ng wollte: Können Sie Ihren Mann denn gar nich von meiner Freundin weghalt’n?« Immer noch nickend, nahm er die Brille ab und wischte mit dem Ende seines T-Shirts daran herum, aber so wie das T-Shirt aussah, würde das seine Sicht nicht wesentlich verbessern.
»Sie wollen mir nicht vielleicht Ihren Namen sagen.« Sie wusste ihn längst, sie wusste bloß sonst nichts zu sagen.
»Lars Benner. Sie könn’ ruhich Du sagen.«
Und da stand sie: Einem betrunkenen Teenager gegenüber, das groteske Negativ-Pärchen zu der peinlichen Romanze, in die ihr Mann sich verstrickt hatte. Der Gehörnte und die Betrogene, schön, dass wir uns auch mal kennenlernen , so als wären die letzten beiden Tage noch nicht demütigend genug gewesen. Wahrscheinlich war das noch nicht einmal das Ende. Morgen schon konnte sie dieser Andrea gegenüberstehen, auf dem Frühstücksplatz, und sich Tipps geben lassen, was sich gegen einen erschlaffenden Busen tun ließ.
Lars Benner hatte seine trübe Brille wieder aufgesetzt und sagte:
»Sonst werd ich ihm am Ende eine reinhauen müssen.«
»Dann machen Sie das doch.«
»… Ja«, sagte er, als hätte sie ihn gebeten, auf der Stelle die Hose runterzulassen.
»Sie wissen, wo die Rheinstraße ist, gleich vorne links, direkt neben der Bühne. Gehen Sie hin, und hauen Sie ihm eine rein.«
»Hattas verdient oder nich?«
»Ganz sicher.«
»Die Andrea weiß manchma nich, wasse tut. Aber Ihr Mann …«
»Der immer. Und Sie wissen,
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