Gretchen: Ein Frankfurter Kriminalfall (German Edition)
hatte er die früheren Verfehlungen der Susann weder mitbekommen, noch interessierte er sich sonderlich dafür, als seine Frau sie ihm, endlich von Hechtels heimgekehrt und im Bett, von Anfang bis Ende aufzählte.
Nun war also die Susann inzwischen beim Judenbrücklein (gar nicht weit vom Hechtelischen Haushalt in der Predigergass) in dem Gasthaus Zum Einhorn von der Frau Bauerin gelandet. Was schön und gut war. Wenn auch nach Schwester Ursels Meinung nicht ganz so gut wie damals bei den de Barys, da das Einhorn , fand die Ursel, sich mit einem feinen kaufmännischen Haushalt wohl kaum messen könne. Zumal es sich nicht etwa um eine bekannte Schildwirtschaft handelte (ja, wenn die Susann in der Reichskrone oder im Goldenen Löwen untergekommen wär, da würd die Ursel nichts sagen!). Das Einhorn war nämlich bloß eine gemeine Fußherberge. Eine zudem, wo zwar immerhin kein Gesindel, aber, na ja, wegen der Lage gleich am Tor zur Judengasse hauptsächlich Juden abstiegen.
Der Susann war es aber ganz recht so. Erstens war sie endlich wieder in der Nähe ihrer Schwestern, zweitens war die Frau Bauerin eine angenehme Brotherrin, und drittens bestand hier die Aussicht auf Einheirat. Nicht dass die Susann in den Christoph Bauer vernarrt gewesen wäre. Aber vielleicht war es auch besser so, denn wie solche Gefühle täuschen können, das wusste sie spätestens seit dem eingebildeten Gockel Jean de Bary. Dann doch lieber den Christoph Bauer!
Immerhin hatte sie, als der Christoph sie zu Anfang ihres Dienstes hier einmal auf der Treppe zum Hinterbau abpasste, gegen die Wand drückte und mit feuchten, weindünstenden Küssen bedeckte, fast wider Willen ganz genau dieses merkwürdige Gefühl der inneren Verflüssigung bekommen, wie sie es von einer gewissen, lang vergangenen Jugendfreundschaft her kannte. Es hatte sie sogar eiserne Willenskraft gekostet, sich dem Christoph zu entziehen, als der sie nach ein paar Minuten Knutschen vom Treppenabsatz in die nächste leere Stube schieben wollte. Wobei es sich übrigens bei dem Vorfall mit dem Christoph auf der Treppe um die einzige kleine Verfehlung handelte, die sie sich seit ihrem Dienstantritt im Einhorn in dieser Hinsicht hatte zuschulden kommen lassen. Wenn man von Verfehlung denn reden sollte, da das schließlich nichts Besonderes war und jede zweite Magd in Frankfurt oder in Mainz einen Freund hatte und dabei geküsst und unten herum gerieben wurde, was das Zeug hielt. Siehe Christiane und Jockel. Auch ihre Schwester Dorette Hechtelin war mit dem Hechtel gute zehn Jahre fest gegangen, und erst mit dem Meisterbrief hatten sie geheiratet. Von der Ursel ganz zu schweigen, deren erstes Kind sich auffällig bald nach der Heirat mit dem Tambour König eingestellt hatte. Was also die Christiane vorhin gefaselt hat, die Leute würden über sie reden, von wegen sie wär liederlich, das kann die Christiane nur erfunden haben. Um sie zu ärgern natürlich.
Womit die Susann, wie sie da schlaflos im Dunkeln liegt, wieder bei ihrem Streit mit der Christiane angekommen wäre.
Was war die Christiane heut zickig. Aber sie, Susann, muss sich so was von vorsehen, dass ihr nicht das Temperament durchgeht, falls die Christiane mal wieder so eine unausstehliche Laune wie heute bekommt. Dass bloß die Frau Bauerin von solchem Gezänk in der Zukunft nichts mitkriegt. Oder wenn, dass es wenigstens nicht scheint, als hätte die Susann angefangen.
Denn wenn sie sich eines nicht leisten kann, dann das: es sich jetzt auch noch mit der Frau Bauerin zu verderben.
Genug davon. Um sich zu beruhigen und endlich einschlafen zu können, bastelt die Susann sich einen gänzlich blödsinnigen, aber darum umso schöneren Traum zurecht. Keinen neuen. Den Traum kennt sie schon. Sie denkt sich jedes Mal ein bisschen eine neue Abwandlung aus, aber im Grunde ist es immer das Gleiche: Ein feiner, fremder Kaufmann steigt im Gasthaus Zum Einhorn ab (zufällig ist er reformierter Religion). Er verliebt sich in die Susann und sie sich in ihn. Er kommt von da an regelmäßig nach Frankfurt ins Einhorn . Und eines Tages fragt er die Susann, ob sie ihn heiraten will. Die Susann zieht mit ihm in eine große, ferne Stadt, Hamburg zum Beispiel oder Petersburg oder Mailand. Aber, darauf besteht sie, ohne ihre Schwester Dorette mag sie nicht fort. Und darum bietet der Kaufmann, der die Susann ja so schrecklich liebt, gleich dem Schreinermeister Hechtel eine gute Position bei sich an, sodass die Familie Hechtel mitzieht.
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