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Gretchen

Titel: Gretchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Chelsea Cain
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andere, dass Archie Reha-Maßnahmen brauchte, jede Menge Psychoanalyse. Womit er aber nicht gerechnet hatte, war, dass Archie die Psychiatrie nicht mehr verlassen wollte, seit er drin war.
    Die Nachtschwester folgte Henry in Archies Zimmer.
    Archies Zimmergenosse schlief. Er schnarchte laut, diese besondere feuchte Atemlähmung, die sich durch Übergewicht und starke Beruhigungsmittel ergab. Es hätte jeden verrückt gemacht, der es nicht ohnehin schon war.
    Die vergitterte Leselampe über Archies Bett brannte. Er saß aufrecht auf den weißen Laken, das dünne Kopfkissen hinter das braune Lockenhaar geklemmt, eine dicke Biografie offen im Schoß. Er durfte seit einem Monat seine eigene Kleidung tragen, ein Sweatshirt und eine Cordhose, Pantoffeln statt Socken. Er hatte abgenommen und sah von Weitem aus wie der Mann, den Henry vor fünfzehn Jahren kennengelernt hatte, gut aussehend, gesund. Heil.
    Aus der Nähe betrachtet, erzählten die tiefen Furchen auf Archies Stirn und die Sorgenfalten um seine Augen eine andere Geschichte.
    Archies dunkle Augen fixierten Henry, und Henry empfand ein seltsames Unbehagen. Archie wirkte verändert. Henry wusste nicht, ob es an den Medikamenten lag, die er einnahm, oder daran, dass er zwei Jahre lang von Schmerzmitteln high gewesen war und nun nicht mehr. Es war, als wäre er älter geworden. Ruhiger. Manchmal konnte Henry kaum glauben, dass er erst vierzig war.
    »Was ist passiert?«, fragte Archie.
    Henry warf einen Blick zu der Kamera in einer Ecke des Raums. Es war immer noch ein merkwürdiges Gefühl für ihn, wie ein Gefangener überwacht zu werden. Er zog den Besucherstuhl auf Archies Seite des Zimmers ans Bett und setzte sich.
    »Könnten Sie uns eine Minute allein lassen?«, fragte Henry die Schwester.
    »Wecken Sie Frank nicht«, sagte die Frau und ging hinaus. Henry sah Frank an. Ein Speichelfilm sammelte sich in Franks Mundwinkel.
    Henry wandte sich wieder Archie zu.
    »Es gibt einen Tatort«, sagte Henry. Er langte in die Vordertasche seiner schwarzen Jeans und zog eine Packung Kaugummi heraus. »Sie haben eine Milz in einem Parkplatz-WC an der I-84 gefunden. An die Wand sind Herzen gemalt. Du musst kommen und es dir ansehen.«
    Archie zeigte keinerlei Reaktion; er saß einfach da, ohne sich zu bewegen, ohne zu blinzeln, ohne etwas zu sagen. Frank gab ein Gurgeln wie ein sterbendes Huhn von sich. An der Überwachungskamera blinkte ein winziges rotes Licht. Henry wickelte einen Kaugummistreifen aus und steckte ihn in den Mund. Es war Lakritzgeschmack, warm und weich, weil er in der Hosentasche gesteckt hatte. Er hielt Archie die Packung hin.
    »Das war sie nicht«, sagte Archie.
    Henry steckte die Kaugummipackung wieder ein. Er würde Gretchens Anziehungskraft auf Archie nie verstehen. Er wusste über das Stockholmsyndrom Bescheid. Er hatte seit Archies Gefangenschaft ein halbes Dutzend Bücher darüber gelesen. Er verstand die Besessenheit seines Freundes. Sie hatten Gretchen ein Jahrzehnt lang gejagt, ihre Tatorte bearbeitet, mit ihr gelebt und geatmet. Nur um zu entdecken, dass sie sie direkt vor der Nase gehabt hatten, da sie sich als Psychiaterin ausgegeben und die Polizei in dem Fall beraten hatte. Es war schwer für sie alle gewesen – am schwersten für Archie. »Und wenn sie es doch war?«, fragte Henry.
    »Sie hat gesagt, sie würde aufhören zu töten«, erwiderte Archie. Seine Mundwinkel zuckten. »Sie hat es mir versprochen.«
    »Vielleicht hat sie die Finger hinter dem Rücken gekreuzt«, sagte Henry.
    Archie senkte die Augen auf sein Buch, dann klappte er es langsam zu und legte es auf den Tisch neben seinem Bett. Er hob das Kinn. »Sind Sie noch da?«, fragte er mit lauter Stimme.
    Eine Sekunde später erschien die Nachtschwester in der Tür.
    »Sie gehen nie weit fort«, sagte Archie zu Henry und lächelte leicht. Sein Blick ging zur Schwester. »Ich werde einen Tagespass brauchen«, sagte er, und dann, fast wie ein nachträglicher Einfall. »Und Schuhe.«
    »Er wird an einem Tatort gebraucht«, erklärte Henry.
    »Du musst sie nicht überzeugen«, sagte Archie. »Ich bin seit zwei Monaten hier. Sie wollen mich raushaben. Die Sache ist nur die, dass sie mich erst fortschicken können, wenn ich ihnen versichere, dass ich mich nicht umbringe. Und ich habe eine ausgezeichnete Krankenversicherung.«
    »Ein Pass sollte kein Problem sein, Mr. Sheridan«, sagte die Schwester.
    »Detective Sheridan«, korrigierte Henry. Die Nachtschwester sah ihn an und zog

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