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Grieche sucht Griechin - Grotesken

Grieche sucht Griechin - Grotesken

Titel: Grieche sucht Griechin - Grotesken Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Dürrenmatt
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Direktor zu haben! Daß ich als Ihr bester Freund besonders Halleluja und Hosianna jauchze (hier wurden OB9GZs Augen feucht), will ich nicht noch einmal betonen, das wäre nun doch 43

    zu ungehörig, sähe aus, als wollte gerade ich Vizedirektor werden, wenn ich auch der Rangälteste bin. Wie immer auch Ihre Wahl unter uns Oberbuchhaltern ausfallen wird, wen Sie nun auch zu Ihrem Stellvertreter ernennen werden, ich nehme die Wahl mit Demut entgegen, bleibe Ihr größter Verehrer –
    Kollege Spätzle möchte Sie noch sprechen, und dann Kollege Schränzle, aber ich fürchte, ich fürchte, ich muß Sie nun Hals über Kopf zu Petit-Paysan begleiten, um Sie in dessen Vor-zimmer unbeschädigt abzuliefern, ist doch die Stunde vorgerückt. Kommen Sie nun also, Kopf hoch, genießen Sie Ihr Glück, sind ja auch der würdigste, der begabteste von uns allen, goldrichtig sozusagen, ein geniales Glückskind, die Geburtszangenabteilung wird sogar noch die Maschinengewehrabteilung mit Elan überflügeln, sehe ich voraus, mit Schwung und Kraft, verehrter, lieber Herr Direktor, wie ich nun wohl am besten gleich sage, darf ich bitten, ich habe die Ehre, es ist mir ein großes Vergnügen, wir nehmen denn auch gleich den Direktorenlift.«

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    Archilochos betrat mit OB9GZ nie geahnte Räume, Reiche aus Glas und unbekanntem Material, glänzend vor Sauberkeit, wunderbare Lifts, die ihn nach den oberen geheimnisvollen Stockwerken des Verwaltungsgebäudes hoben. Sekretärinnen schwebten, dufteten an ihm vorüber, lächelten, blonde, schwarze, braune und eine mit herrlichem zinnoberrotem Haar, Sekretäre machten ihm Platz, Direktoren verneigten sich, Generaldirektoren nickten ihm zu, sanfte Korridore nahmen ihn auf, über deren Türen bald rote, bald grüne Lämpchen aufleuchteten, die einzigen Anzeichen einer diskreten Verwal-tungstätigkeit. Sie wandelten lautlos auf weichen Teppichen, 44

    schien doch jeder Lärm, auch das leiseste Räuspern, das verstohlenste Husten verpönt. Französische Impressionisten leuchteten an den Wänden (Petit-Paysans Bildersammlung war berühmt), eine Tänzerin von Degas, eine Badende von Renoir, Blumen dufteten in hohen Vasen. Je höher sie kamen, schwebten, desto menschenleerer wurden die Korridore und Hallen.
    Sie verloren das Sachliche, Übermoderne, Kalte, ohne die Proportionen zu ändern, wurden phantastischer, wärmer, menschlicher, Gobelins hingen nun an den Wänden, goldene Rokoko- und Louis XIV-Spiegel, einige Poussins, einige Watteaus, ein Claude Lorrain, und als sie das letzte Stockwerk erreichten (OB9GZ, ebenso eingeschüchtert wie Archilochos, war er doch nie so weit gedrungen, verabschiedete sich hier), wurde der Unterbuchhalter von einem würdigen ergrauten Herrn in tadellosem Smoking in Empfang genommen, wohl von einem Sekretär, der den Griechen durch heitere Korridore und lichte Hallen führte, mit antiken Vasen und gotischen Madonnen, mit asiatischen Götzen und indianischen Wandtep-pichen. Nichts erinnerte mehr an die Herstellung von Atomkanonen und Maschinengewehren, vielleicht nur, daß man beim Anblick einiger Putten und Dreikäsehochs, die dem Unterbuchhalter von einem Rubensgemälde entgegenlachten, entfernt an Geburtszangen hätte denken können. Alles war heiter hier oben. Durch die Fenster schimmerte die Sonne als warme wohlige Scheibe, obwohl sie in Wirklichkeit in einem eiskalten Himmel stand. Bequeme Sessel und Kanapees standen herum, irgendwo war ein helles Lachen zu hören, das Archilochos in seinem grauen Arbeitskittel an das Lachen Chloés erinnerte, an den heiteren Sonntag, den er erlebt hatte, und der nun eine märchenhafte Fortsetzung nahm, irgendwo zitterte Musik, Haydn oder Mozart, kein Schreibmaschinengeklimper war vernehmbar, kein Hin- und Hergehen aufgeregter Buchhalter, nichts, das ihn an die Welt erinnerte, der er eben entstiegen war, die nun tief unter ihm lag wie ein böser Traum. Dann 45

    standen sie in einem hellen Raum, mit roter Seide ausgeschla-gen, mit einem großen Gemälde, eine nackte Frau darstellend, wohl der berühmte Tizian, von dem man überall sprach, dessen Preis man sich überall zuflüsterte. Zierliche Möbelchen, ein kleiner Schreibtisch, eine kleine Wanduhr mit silbernem Ticktack, ein Spieltischchen mit einigen Sesselchen waren da und Blumen, Rosen, Kamelien, Tulpen, Orchideen, Gladiolen in verschwenderischer Fülle, als gäbe es keine Jahreszeit, keine Kälte, keinen Nebel und keinen Winter. Kaum waren sie eingetreten, öffnete sich eine

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