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Grieche sucht Griechin - Grotesken

Grieche sucht Griechin - Grotesken

Titel: Grieche sucht Griechin - Grotesken Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Dürrenmatt
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an, legte den Band Hölderlin auf das grüne Spieltischchen, setzte sich, lud mit einer Handbewegung Archilochos ein, sich ebenfalls zu setzen. Sie saßen einander im Sonnenlicht gegenüber, auf weichen Polstern, Archilochos wagte kaum zu atmen, so feierlich kam ihm die Szene vor. Endlich würde er den Grund der rätselhaften Vorfälle vernehmen, dachte er.
    »Herr Petit-Paysan«, begann er deshalb von neuem mit schüchterner stockender Stimme: »Ich habe Sie immer verehrt, Sie sind Nummer drei in meinem sittlichen Weltgebäude, das ich mir zusammengezimmert habe, um einen moralischen Halt zu besitzen. Sie kommen unmittelbar nach unserem verehrten 48

    Staatspräsidenten und Bischof Moser von der Altneupresbyteranischen Kirche, das sei alles gestanden; um so mehr möchte ich Sie anflehen, mir den Grund Ihres Handelns zu erklären: Buchhalter Rummel und Oberbuchhalter Petit-Pierre wollen mir einreden, es sei meiner Berichte wegen über die Ostschweiz und über das Tirol, aber die liest doch kein Mensch.«
    »Lieber Herr Agesilaos«, sagte Herr Petit-Paysan feierlich –
    »Archilochos.«
    »Lieber Herr Archilochos, Sie waren Buchhalter oder Oberbuchhalter – ich werde aus dem Unterschied, wie gesagt, nicht klug – und sind nun Direktor; das scheint Sie zu verwirren.
    Sehen Sie, mein lieber Freund, Sie müssen all diese für Sie merkwürdigen Vorgänge in weltweiten Zusammenhängen sehen, als einen Teil der mannigfaltigen Tätigkeit, die meine liebe Maschinenfabrik ausübt, fabriziert sie doch – wie ich heute zum ersten Mal zu meiner Freude höre – sogar ja auch Geburtszangen. Hoffentlich rentiert diese Fabrikation auch etwas.«
    Archilochos strahlte.
    Allein im Kanton Appenzell Innerrhoden habe man in den letzten drei Jahren zweiundsechzig Stück abgesetzt, berichtete er.
    »Hm, etwas wenig. Doch sei es. Wird sich eben mehr um eine humane Abteilung handeln. Es tut nur gut, daß wir zu den Dingen, die die Menschheit aus der Welt schaffen, auch Dinge fabrizieren, die sie hineinbringen. Ein gewisses Gleichgewicht muß eben bestehen, auch wenn nicht alles rentiert. Da wollen wir denn dankbar sein.«
    Petit-Paysan machte eine Pause und sah dankbar aus.
    »Hölderlin nennt den Kaufmann, den Industriellen somit, in seinem Gedicht Archipelagos ›fernhinsinnend‹«, fuhr er endlich fort, etwas seufzend. »Ein Wort, das mich erschüttert.
    So ein Betrieb ist ungeheuer, mein lieber Herr Aristipp, die Zahl der Arbeiter und Angestellten, der Buchhalter und der 49

    Sekretärinnen ist unmäßig, nicht mehr zu überblicken, kenne ich ja kaum die Direktoren und nur etwas flüchtig die Generaldirektoren, der Kurzsichtige geht in diesem Dschungel irre, nur wer fernsichtig nicht die Einzelheiten und Einzelschicksale, sondern das Ganze im Auge behält, das Fernziel nicht verliert, fernhinsinnend ist, wie eben der Dichter sagt – Sie kennen doch seine Werke –, nur wer immer aufs neue zu planen, immer neue Unternehmen aufzuziehen versteht, in Indien, in der Türkei, in den Anden, in Kanada, geht nicht unter in den Sümpfen der Konkurrenz und der Trusts. Fernhinsinnend: Bin eben dabei, mich mit dem Gummi- und Schmieröltrust zu verbinden. Das wird das Geschäft.«
    Petit-Paysan machte eine neue Pause und sah fernhinsinnend aus.
    »So plane, so arbeite ich«, sagte er dann, »webe ein wenig mit am sausenden Webstuhl der Zeit. Wenn auch bescheiden nur. Was ist die Petit-Paysan-Maschinenfabrik neben dem Stahl-Trust oder den Allzeit-Freuden-Hütten, den Pestalozzi-werken oder der Hösler-La Biche! Nichts! Aber wie steht es nun mit meinen Arbeitern und Angestellten? Mit all den Einzelschicksalen, die ich übersehen muß, das Ganze im Auge zu behalten? Diese Frage beschäftigt mich oft. Sind sie glücklich? Es geht um die Freiheit der Welt; sind meine Arbeiter frei? Ich habe soziale Unternehmungen eingerichtet, Mütter-, Väter-Erholungsheime, Sporthallen, Schwimmbäder, Kantinen, Gesundheitspillen, Theaterbesuche, Konzerte. Aber bleibt nicht die Welt, die ich beschäftige, im Materiellen stecken, im schmutzigen Geld? Eine Frage, die mich bis zur Peinlichkeit berührt. Ein Direktor bricht zusammen, nur weil ein anderer an seine Stelle kommt. Das ist doch ekelhaft. Wie kann man das Geld so wichtig nehmen. Nur der Geist zählt, lieber Herr Artaxerxes, es gibt nichts Verächtlicheres, Unwichtigeres als das Geld.«
    Petit-Paysan machte eine weitere Pause und sah besorgt aus.

    50

    Archilochos wagte kaum, sich zu rühren.
    Doch nun

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