Grim - Das Siegel des Feuers
fort. »Triff mich in drei Tagen zur gleichen Zeit am Eiffelturm. Ich hoffe, dass ich kommen kann. Dann werde ich dir alles erklären.«
Sie holte tief Atem. Sie hatte so viele Fragen, aber sie konnte kein Wort über die Lippen bringen. Sie fühlte seine Hand an ihrem Kopf, kaum merklich strich er ihr übers Haar. »Ich habe nicht gewusst, dass es so kommen würde. Ich weiß selbst nicht, was hier vorgeht. Es tut mir leid, dass ich dich da mit reinziehe, es tut mir so leid, aber ... Du bist die Einzige, der ich vertraue, Mia. Der einzige Mensch auf der Welt.«
Er sah sie an. Auf einmal war sein Gesicht ganz anders, irgendwie weicher. Doch sein Blick machte ihr Angst, Schatten lagen darin und ein fiebriger Ausdruck, den sie noch nie zuvor bei ihm gesehen hatte.
»Versprich mir, dass du auf dich aufpasst«, sagte sie leise.
Er lächelte. In einer winzigen Bewegung beugte er sich vor und küsste sie auf die Stirn. Ein Gefühl strich über ihre Haut, als hätte sie eisiger Atem gestreift. Dann löste er sich von ihr. Noch einmal sah er sie an, ehe er sich umwandte und in der Menge verschwand.
Mia blieb stehen und starrte auf die bunten Jacken, zwischen denen Jakob untergetaucht war. Irgendwo fuhren Züge ab. Ein Windhauch blies ihr ins Gesicht. Plötzlich war ihr eiskalt. Sie zog die Arme um den Körper und setzte sich in Bewegung. In ihrer Tasche spürte sie das Paket, es schlug im Laufen gegen ihr Bein, aber sie griff nicht danach. Überall vermutete sie Augen, fühlte sich gehetzt und verfolgt. Sie nahm die falsche Metro, stieg dreimal um, ging einen anderen Weg zurück zur Wohnung, stahl sich an Josi vorbei in ihr Zimmer, schloss die Tür hinter sich ab und riss die Vorhänge vor die Fenster. Einen Augenblick blieb sie regungslos stehen. Dann griff sie in ihre Tasche.
Ihre Finger berührten das Bündel aus Leder. Vorsichtig zog sie es heraus und legte es vor sich aufs Bett. Gerade noch, so schien es ihr, hatte sie mit Jakob an dem staubigen Ateliertisch ihres Vaters gesessen, und jetzt ... Langsam löste sie die Knoten und schlug das Leder zurück. Vor ihr lag ein zusammengefaltetes Pergament, gelb und eingerissen. Ein glühend rotes Siegel mit dem Zeichen eines aufgehenden Mondes vereinte feine Ketten in sich, die das Pergament fest umschlossen. Mia streckte die Hand aus. Sie zögerte einen Moment. Dann legte sie den Finger auf das Siegel.
Mit leisem Klicken zogen sich die Ketten in das glühende Rot zurück und gaben das Pergament frei. Mia spürte ihren Herzschlag. Vorsichtig faltete sie es auseinander — und zog die Brauen zusammen. Es war leer. Verwundert drehte sie es um sich selbst, hielt es gegen das Licht, legte es wieder weg. Nichts. Was hatte das zu bedeuten? Sie strich mit den Fingern darüber. Es war alt, so viel konnte sie sehen, und ausgeblichen, fast wie eine Schatzkarte. Kaum hatte sie das gedacht, ging ein Schimmer darüber hin, fast unmerklich zuerst, aber deutlich genug, um sie sich vorbeugen zu lassen. Sie traute ihren Augen nicht, als sie sah, wie goldene Zeichen aus dem Inneren des Pergaments auftauchten, verschlungene Linien und Buchstaben in einer fremden Sprache. Mia streckte die Hand danach aus, doch kaum hatte sie die Zeichen berührt, verwischte ihr Bild, fast so, als hätte sie eine Wasseroberfläche aufgewühlt. Schnell zog sie die Hand zurück, doch die Zeichen wurden blasser und sanken zurück ins Pergament, wie Steine, die man ins Meer wirft.
Josi ließ in der Küche etwas fallen, sofort zuckte Mia zusammen. Sie spürte, wie ihr die Hitze in den Kopf stieg. Schnell faltete sie das Pergament zusammen und sah staunend zu, wie sich das Siegel wieder schloss. Vorsichtig verstaute sie es in seinem Lederschutz und schob es unter ihre Matratze. Aufgewühlt ließ sie sich in die Kissen sinken und starrte an die Decke. Jakobs Worte gingen ihr nicht aus dem Sinn.
Ich werde verfolgt ... Sie jagen mich schon seit Tagen ... Wenn sie wissen, dass du es hast, bist du verloren, genauso wie ich.
Die Gesichter der unheimlichen Verfolger gingen ihr durch den Kopf. Sie spürte Jakobs Hand an ihrem Haar, seine Lippen auf ihrer Stirn, hörte sein Herz schlagen durch die dünne Jacke, die er am Leib getragen hatte. Er hatte gezittert vor Kälte.
Du bist die Einzige, der ich vertraue, Mia. Der einzige Mensch auf der Welt.
Kapitel 15
rim hockte im Schatten der Schornsteine und beobachtete mit düsterer Miene die beiden Gestalten auf dem gegenüberliegenden Dach. Ihre Kutten flatterten im Wind,
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