Grim
Fast hättet Ihr Euch in dieser Trunkenheit verloren, und ich erinnere mich an das Gesicht Eures Schöpfers, als er Euch ansah. Er gierte danach, Euch fallen zu sehen. Doch diesen Triumph gönnte ich ihm nicht.«
Er hielt inne, etwas Sanftes hatte sich bei den letzten Worten in seine Stimme geschlichen, doch Bhragan Nha’sul betrachtete ihn ebenso kalt wie zuvor, als er antwortete: »Du hast den Wahn gebrochen, in den ich geraten war. Damals dankte ich dir dafür.«
Samhur nickte kaum merklich. »Ihr verschriebt Euch der Kälte Eures Geistes und wurdet ein Gegenbild Dragas Nakyros’ in seiner Triebhaftigkeit, um das zu bewahren, dessen Verlust jeder Vampir fürchtet.« Er schüttelte den Kopf wie ein müder alter Mann. »Doch es ist Euch nicht gelungen. Ihr habt Euch verloren in Eurem Extrem. Ihr seid nicht besser als er.«
Da erhob sich der Lord mit fließenden Bewegungen und maß Samhur mit eisigem Blick. »Du hast mich davor bewahrt, in die Finsternis zu fallen«, sagte er gefährlich leise. »Und eben diesen Dienst erweise ich nun dir. Du warst ein Vorbild für mich, auch lange nachdem du dich den Jägern angeschlossen und dich den dunkelsten Künsten der Magie verschrieben hast. Du … «
Da trat Samhur vor, seine Augen glänzten wie im Fieber. »Der Bund der Rhak’ Hontay schlug die Bestie von Bukarest in einer einzigen Nacht, jenen Khan, der siebzehn Vampire aufs Grausamste entstellte! Wir jagten die Hyänen des Südlichen Meeres, wir stellten die Medusa Syriens und zerrissen den Bann des Hyos über der Stadt der Dornen! Wir schützten die Welt vor den Taten der Dämonen, wir waren das! Wir stürzten uns in die Finsternis, die in jedem von uns liegt, um die Welt vor ihr zu bewahren!«
Der Lord sah ihn an, ein fast mitleidiges Lächeln flog über sein Gesicht. »Diese Zeiten sind vorbei.«
Ohne ein weiteres Wort trat er an Samhur vorbei auf die Tür zu. Mia wollte zurückweichen, doch sie konnte sich nicht von Samhur losreißen, dessen Augen wie zwei Abgründe waren, gefüllt mit Schmerz und Dunkelheit.
»Nein«, rief er, und seine Stimme war so laut, dass sie die Tür zum Erzittern brachte. »Ihr werdet nie verstehen, was mich zerreißt, niemals – weil Ihr es nicht verstehen wollt! Ihr habt Euch in einen Sarg gelegt – genauso wie sie!«
Da fuhr der Lord herum, so schnell, dass Mia ihn nur noch als Schemen wahrnehmen konnte, und packte Samhur an der Kehle. »Du redest von Erinnerungen«, raunte Bhragan Nha’sul so kalt, dass sie fröstelte. Seine Augen glühten, seine Haut war wie hauchdünnes Pergament, und seine Nägel gruben sich messerscharf in Samhurs Hals. »Ausgerechnet du, der scheinbar alles vergessen hat! Der Bund der Jäger ist zerbrochen, du kennst den Grund dafür! Du sprichst von Finsternissen, in die du gestürzt bist, doch was ist mit jenen, die dich verschlungen haben? Erinnerst du dich nicht an ihn, Jäger der Schatten – an Oreyon, deinen Freund?«
Samhurs Augen verwandelten sich in berstendes Eis, feine Risse zogen sich darüber hin, und sein Mund öffnete sich zu einem lautlosen Schrei. Doch obwohl kein Ton über seine Lippen drang, obwohl er sich nicht rührte und nur die Schwärze aus dem Blick des Lords ihm entgegenschlug, hörte Mia seine Stimme – es war der Schrei aus der Vision, die in der Akademie der Schatten über sie hereingebrochen war. Erschüttert hob sie die Hand vor den Mund, sie sah, dass sich Licht und Dunkelheit hinter den Augen Samhurs aufeinanderstürzten, sah verschwommene Bilder, die gegen die vereiste Iris schlugen und zerbrachen, und sie hörte Lyskians Stimme durch den Schrei brechen, samten und leise.
Seht , flüsterte er, und noch ehe Mia sich ihm zuwenden konnte, spürte sie seine Hand an ihrer Schläfe, eiskalt wie die eines Toten. Im nächsten Moment schoss ein Bild durch ihre Gedanken. Sie sah Samhur im unversehrten Hof der Akademie, die anderen Jäger standen in seiner Nähe, sie schienen sich zu streiten.
»Thoron war euch auf den Fersen«, sagte Bhragan Nha’sul. »Doch als die anderen Rhak’ Hontay beschlossen, die Akademie aufzulösen, wolltest du das nicht hinnehmen. Deine Gier nach Rache für all das, was die Dämonen dir angetan hatten, trieb dich voran, und sie brachte dich dazu, dich gegen deine engsten Vertrauten zu stellen.«
Mia sah zu, wie Samhur sein Schwert mit Flammen überzog und die Akademie mit einem einzigen Wort in rauschendes Feuer hüllte. Zorn verzerrte sein Gesicht, doch als er sich auf die anderen stürzte,
Weitere Kostenlose Bücher