Grim
dass sie die Kälte seiner Haut und die Glut seiner Augen spüren konnte. Er rührte sich nicht, aber ein kalter Glanz war in seinen Blick getreten, der sie erzittern ließ.
»Tochter des Sturms«, flüsterte er, »du kennst mich nicht.«
Die Dunkelheit in seinen Augen griff nach ihr, zog sie näher heran und forderte sie zum Tanz an dem Abgrund, der dieser Vampir war. Doch Mia wandte sich nicht ab, selbst dann nicht, als zwei Vampire sie packten und mit sich schleppten. Sie fixierte das Glimmen in Samhurs Blick und das Lächeln, das spöttisch war und grausam – aber mehr als jede Lähmung, die zuvor auf seinem Gesicht gelegen hatte.
»Seid Ihr nicht mehr als das?«, rief sie und krallte ihre Nägel in das Fleisch der Vampire, die unwillig knurrten. »Nicht mehr als ein Jäger, der vor sich selbst davonläuft?«
Da schickten die Vampire zwei Zauber in ihren Körper, die so kalt waren, dass ihr kurz schwarz vor Augen wurde. Schemenhaft erkannte sie Grim neben sich, eine Bannfessel schnürte ihm die Arme auf den Rücken und presste Remis gegen seine Brust, und ein Vampir hielt Lyskian einen gleißenden Dolch an die Kehle und trieb ihn rückwärts auf die Tür zu. Donnernd klangen die Schritte des Lords durch den Raum, sein Zorn raste wie eine alles vernichtende Welle auf Mia zu. Die Vampire warfen sie vor seine Füße, doch ehe er sie packen konnte, ging ein Kältehauch durch den Raum, der den Boden in Eis verwandelte und sich mit eherner Hand auf die Fenster und Vorhänge legte.
Schwankend kam Mia auf die Beine. Die Luft war kalt, aber der Zauber hatte sie nicht berührt, ebenso wenig wie Grim, Lyskian oder Remis. Bhragan Nha’sul und sein Gefolge hingegen standen da wie erstarrt. Raureif überzog ihre Kleidung, Eisblumen glitten über ihre makellose Haut. Nur ihre Augen glommen in dunklem Feuer, und Mia spürte die Wut des Lords so deutlich, dass sie vor ihm zurückwich.
Da trat Samhur an ihr vorbei. Mühelos streifte er sich die magische Fessel vom Knöchel. Er lächelte, als er vor dem Lord stehen blieb. »Ihr könnt noch immer einiges von mir lernen«, sagte er sanft. Dann wurde er ernst. »Eure Worte sind schwach. Sie brechen in der Finsternis. Ihr seid genauso geworden wie Euer Schöpfer, Ihr habt den Geist anstelle des Triebs gewählt, aber … Ihr fühlt nichts mehr, ebenso wenig wie er zu seiner Zeit.« Sein Atem streifte die Wangen des Lords, und zu Mias Überraschung verwandelten sich die Eisblumen in verschlungene schwarze Muster. »Doch ich weiß, dass mehr in diesem Körper steckt als Kälte und Gier. Erinnert Ihr Euch an den Duft des Flieders, an die Lichter auf den Tümpeln des Heralforstes, an die Lieder der Seelenlosen auf den Feldern vor der Feste des Frosts? Erinnert Ihr Euch an den ersten Schnee des Jahres in pechschwarzem Haar?«
In diesem Moment glitt etwas über Bhragan Nha’suls Züge, etwas wie ein Schmerz oder ein tiefer, tödlicher Traum. Samhur nickte langsam.
»Ihr habt zu viel vergessen«, raunte er. »Fangt an, Euch zu erinnern.«
Und da tauchte ein Bild in den Augen des Lords auf, es war das bleiche, wunderschöne Antlitz einer Frau in einer klaren Winternacht. Schnee verfing sich in ihren Haaren, und sie lächelte, als hätte ein Schmetterlingsflügel ihre Lippen gestreift.
Für einen Moment blieb Samhur schweigend stehen, es war, als würde er in dem reglosen Gesicht des Lords nach etwas suchen, das er lange vermisst hatte. Dann wandte er sich ab und ging auf das Tor zu. Die anderen folgten ihm, Mia spürte Grims drängenden Blick, doch sie konnte sich nicht von Bhragan Nha’sul abwenden. Das Bild verblasste in seinen Augen, es zerbrach, als würde es aus Asche bestehen, und als es von seiner Dunkelheit verschluckt wurde, glaubte Mia, er würde im letzten Moment die Hand danach ausstrecken und es bewahren. Doch der Augenblick verging, und noch ehe der letzte Rest verschwunden war und nichts als Finsternis zurückgelassen hatte, wandte Mia sich ab und eilte mit den anderen hinaus.
Wer war sie?, fragte sie Lyskian, der mit verschlossener Miene den Gang hinabeilte, doch er war es nicht, der ihr antwortete.
Ein Gedanke , erwiderte Samhur und lächelte kaum merklich. Ein Funke, der einst jede Dunkelheit in ein Meer aus Licht verwandeln konnte und jede Wüste in einen Ozean ohne Zeit. Doch das ist lange her, Tochter des Sturms – länger, als du es dir vorstellen kannst.
Kapitel 23
D ie Nacht war sternenklar und so kalt, dass der Wind sich un - ter Grims Schwingen wie
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