Grim
werden wollte, ohne Gedanken, ohne Zweifel, ohne Wiederkehr.
Später konnte sie nicht mehr sagen, ob es der Schmerz gewesen war, der sie mit schrecklicher Ungnade aus der Umarmung der Dunkelheit riss – oder das Brüllen aus steinernem Mund, dieser Schrei, der sie überall erreichen konnte, da er sie kannte, und der sie schon einmal zurückgerufen hatte, damals, als sie beinahe gestorben war im Kampf gegen Seraphin. Sie war dem Tod nah gekommen, sie erinnerte sich an die Schatten jenes Tunnels, die ihren Blick gefangen gehalten und sie näher zum Licht gezogen hatten, diesem gleißenden Schein, der nichts anderes war als die Nacht, die nun um sie zerriss.
Der Schmerz war übermächtig. Es war, als wäre ein tödlicher Eiszauber in sie gefahren, dem sie nur im letzten Moment entkommen war. Rote Schleier trieben über ihr Gesichtsfeld, in stechenden Impulsen kehrte die Wärme zu ihr zurück. Jeder Muskel war zum Zerreißen gespannt, und kaum, dass ihr Blick wieder klar wurde, sah sie Lyskian, der sich über sie beugte. Noch immer hielt er ihr Handgelenk umfasst, doch sein Mund hatte sich von ihrer Haut gelöst, und sie bemerkte das Blut, das seine Lippen benetzte. Seine Haut war schneeweiß, jedes Anzeichen von Krankheit und Verfall war von seinen Zügen gewichen, und doch schien es ihr, als würde sie einem Fremden gegenübersitzen oder als würde sie ihn nun zum ersten Mal als das sehen, was er wirklich war: ein uralter Vampir, der nach dem Leben griff.
Regungslos schaute er sie an und sie fand sich in seinen Augen gespiegelt, diesen Augen, die grausam waren und so kalt, als hätten sie nie etwas anderes in ihr gesehen als ein Menschenkind, das zerrissen werden konnte von der Ewigkeit seines schwarzen Blutes. Der Schreck jagte durch ihre Glieder, und sie schnellte hoch. Kurz sah sie einen Riss durch die Schwärze seiner Augen gehen. Doch gleich darauf drängten die Schatten heran, und kaum, dass sie seinen Blick ausfüllten, glitt ein Lächeln über seine Lippen, das jedes Bild, das sie einmal von Lyskian gehabt hatte, mit einem mächtigen Hieb zerschlug.
Menschenkind, raunte er. Das solltest du nicht tun.
Seine Worte zerbrachen in Mias Gedanken und stießen sie von ihm fort. Ihre Beine trugen sie nicht sofort, sie taumelte, doch ehe Lyskian nach ihr greifen konnte, zwang sie sich zu rennen. Ihr Kopf war vollkommen leer, sie fühlte nur die Furcht in ihrem Nacken und das Entsetzen, das sie beim Blick in diese Augen ergriffen hatte. In ihnen lag ein Frost, mit dem Lyskian sie töten konnte, ohne mehr zu tun, als auf diese Art zu lächeln.
Sein Lachen ließ sie herumfahren. Es klang wie zerspringendes Glas. Er war aufgestanden, hatte die Arme vor der Brust verschränkt, als wollte er über ihren Fluchtversuch den Kopf schütteln, und sah sie so eindringlich an, dass sie einen Stich verspürte.
Närrin , flüsterte er in ihrem Kopf, und noch ehe er sich in Bewegung setzte und so rasch auf sie zuglitt, dass sie kaum mehr wahrnahm als einen Schatten, wusste sie, dass er recht hatte. Lyskian war ein Vampir, er war ein Krieger und ihr Mentor. Selbst wenn er ihr an Kräften nicht haushoch überlegen gewesen wäre, so hätte er doch jede ihrer Schwächen gut genug gekannt, um sie im Handumdrehen zu fangen. Dicht vor ihr tauchte er auf, eine Schreckgestalt aus dem Zwielicht, doch er griff nicht nach ihr. Er blieb einfach stehen mit diesem grausamen und zugleich amüsierten Lächeln, als wäre das alles nur ein Spiel.
Lauf , raunte er, und obwohl sie ihm sein selbstgefälliges Grinsen am liebsten vom Gesicht geschlagen hätte, wich sie ihm aus und rannte auf das Tor zu. Sie hörte die Fessel, die er ihr nachschickte, im letzten Moment sprang sie in die Luft, doch wie in einer ihrer Trainingsstunden schnellte ein weiterer Flammenstrick heran, schlang sich um ihren Knöchel und riss sie zu Boden. Instinktiv umgab sie ihre Faust mit weißem Feuer und zerschlug die Fessel, ehe sie einen Schutzwall um sich zog und Lyskian einen Donnerzauber vor die Brust warf. Doch der Vampir glitt beiseite und sprang auf sie zu. Sie erhob sich in die Luft, so schnell sie konnte, eilte sie über glimmende Funken aus Eis, aber Lyskian kam ihr nach, mit geschmeidigen, gelassenen Bewegungen, die doch schneller waren als jeder Sprung, den Mia tat. Sie ließ sich zu Boden fallen, instinktiv schickte sie einen Eiszauber in ihre Finger. Nie war ihr ein so komplizierter Zauber wie das Blaue Feuer gelungen, Lyskian hatte darüber gelacht, sie
Weitere Kostenlose Bücher