Grim
Klauen eines Khranados gewachsen.
Er ließ die Hand von seiner Brust sinken, lautlos fiel sie in den Sand. Mia begann zu zittern, als sie die Wunde sah, die in seiner Brust klaffte. Noch immer pulste schwarzes Blut aus seinem Leib, es tränkte den Sand und zog jede Farbe aus seinem Gesicht. Seine Haut wurde durchscheinend, und als sich seine Augen vollständig in schwarzem, mattem Glanz verfärbten, begriff Mia, dass er sterben würde. Sie spürte, dass sich der Schmerz näherte, der sie unaufhaltsam mit sich reißen würde, wenn sie nicht sofort auf die Beine kommen und gehen würde. Sie ertrug den Blick in Lyskians Augen nicht mehr, sie wollte die Worte nicht hören, die er zu ihr sprach, und doch drangen sie durch den Schleier, der sich jetzt vor ihren Blick schob und sein Bild verwischte.
Menschenkind , raunte er, und sie konnte hören, dass er lächelte. Alles, was ich jemals wollte, war dein Glück. Vergiss das nicht. Und vergiss nicht … den Duft des Mohns.
Tränen liefen über Mias Wangen, sie hielt seinen Blick fest, als er zu zittern begann, doch als er ihre Hand losließ, als sie die Kälte fühlte, die ihn ausfüllen wollte wie ein gieriges Tier, stieg Zorn in ihr auf. Nein , erwiderte sie und packte ihn an den Schultern, dass er zusammenfuhr. Seine Lider flatterten, er erkannte sie nicht mehr, aber sie wusste, dass er ihre Gedanken hören konnte – immer schon war das seine Macht gewesen. Nein , wiederholte sie. Ich vergesse nichts. Nicht den Staub auf den Straßen von Budapest, den du noch immer an den Stiefeln trägst. Nicht den Klang deiner Stimme, wenn du mir die Märchen meines Volkes erzählst, und nicht die Farbe deiner Augen, wenn du den Mond betrachtest, diesen Zauberer, den du wie Grim zu gleichen Teilen verachtest und liebst. Hör mir zu, Lyskian, Prinz der Vampire. Ich vergesse nichts, und weißt du auch, warum? Weil ich es nicht will. Und aus dem gleichen Grund wirst du nicht hier sterben im Reich des Khranados. Du wirst nicht in deinem eigenen Blut liegen und dich von mir verabschieden, und ich werde nicht ohne dich zurückkehren ins Licht. Ich fürchte die Schatten nicht, hast du das vergessen? Und ich weiß, dass ich dich retten kann!
Er hatte die Augen geöffnet, doch jeder Glanz war aus ihnen gewichen. Es war eine stumpfe und reglose Finsternis, in die sie schaute, und doch schien es ihr, als würde ein stummer Schrei diese Nacht zerreißen, als sie den Arm hob und den Dolch an ihrem Stiefel mit schnellem Schnitt über ihr Handgelenk zog. Der Schmerz war stechend, aber sie achtete kaum darauf. Sie sah nur, wie Lyskian die Augen schloss, hob seinen Kopf und ließ ihr Blut über seine Lippen rinnen. Eisig waren sie an ihrer Haut, übermächtig griff die Kälte seines Körpers auf sie über, und sie zitterte bei dem Gedanken, dass es zu spät sein könnte, dass er nichts mehr wahrnahm als den Frost der Ewigen Nacht, in die er einkehren würde nach dem Ende seiner Existenz. Umso heftiger erschrak sie, als er plötzlich nach ihrem Handgelenk griff. Seine Augen waren noch immer geschlossen, doch er hielt sie mit ungeahnter Kraft fest, und als er zu trinken begann, zog er sie in die Finsternis hinter seinen Lidern, ohne dass sie sich dagegen wehren konnte.
Die Dunkelheit war samten und so kalt, dass ihr der Atem stockte. Doch gleich darauf spürte sie Lyskians Nähe, er war überall, er glitt ihr als sanfter Wind durchs Haar, strich mit eisigen Fingern über ihren Nacken und rief sie näher zu sich, dunkel und zärtlich wie ein Traum kurz vor dem Erwachen. Heftiger Schmerz pulste durch ihren Körper, sie nahm ihn wahr, doch er zerriss nicht den Drang in ihr, sich tiefer in diese Finsternis zu stürzen, und als sie vollends den Halt verlor und die Nacht in schwarzen Tüchern um sie wehte, da schien es ihr, als würde sie an einem gewaltigen Abgrund tanzen. Schwarze Feuer brachen durch die Dunkelheit und umfassten ihre Hüfte, ihre Arme, ihr Gesicht, als wären auch sie Tänzer, geschickt von Lyskians Stimme, dem Herrn über die Welt jenseits jeden Lichts. Die Kälte wich aus Mias Körper, stattdessen strömte die Glut dieser Feuer durch ihre Adern, sie fühlte Lyskians Atem auf ihrer Haut, sie waren sich noch nie so nah gewesen, und obgleich sich die Tücher in schwarze Schwingen verwandelten, obgleich die Kälte zurückkehrte und der Schmerz sie mit aller Macht zur Besinnung rief, fühlte sie doch nichts als die zärtliche Grausamkeit dieser Nacht, die sie umgab und von der sie ein Teil
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