Grim
die Beine zwang und durch die Tür eines Hauses schleuderte. Krachend schlug sie gegen ein Regal und sackte zu Boden, doch die Klaue ließ sie nicht los, und schwarze Schleier zogen an ihren Augen vorüber. Wie aus weiter Ferne hörte sie die Geräusche der Schlacht und die Schritte, die langsam auf sie zukamen. Worte drangen an ihr Ohr, jene Worte, die sie schon einmal aus Verus’ Mund vernommen hatte, damals, als sie sich zum letzten Mal begegnet waren.
Vielleicht … raunte er in ihrem Kopf, während sie vergebens versuchte, auf die Beine zu kommen. Seine Stimme umhüllte sie wie ein Zauber und ließ jedes Gefühl, jeden Gedanken in tiefe Finsternis fallen. Vielleicht sieht ein Engel wie all das aus, was wir vergessen haben. Der Raum verschwand um sie herum. Alles wurde dunkel, bis es ihr schien, als wäre sie erblindet. Panik stieg in ihr auf, als ihr die Welt abhandenkam; Verus nahm ihr alles bis auf seine Stimme. Ich meine vergessene Dinge, die nicht bekannt dünken, wenn wir ihnen wiederbegegnen, verloren jenseits allen Sagens, und die einst die unseren waren.
Und noch während Mia die Worte in sich widerklingen fühlte, sah sie Verus durch die Finsternis brechen, eine goldene, lichtdurchflutete Gestalt. Er trat auf sie zu, langsam und mit grausamem Lächeln, und sie zwang sich, in die blutige Schwärze seiner Augen zu schauen, um seinem Zauber nicht zu verfallen. Vor ihr stand kein Engel, wie sie damals geglaubt hatte, und sie riss ihre einstige Erkenntnis mit Gewalt in ihr Bewusstsein zurück: Vor ihr stand der Abgrund, der jeden Engel verschlingen konnte.
Kaum hatte sie das gedacht, löste sich die Klaue von ihrer Kehle ein wenig, und sie konnte Atem holen. Röchelnd sog sie die Luft ein, doch sie ließ Verus nicht aus den Augen, der schweigend vor ihr stand. Er verharrte regungslos wie damals, als er ihr Blut in Empfang genommen hatte, mit leicht geneigtem Kopf und einem undurchsichtigen Glanz in den Augen. Langsam nickte er.
»Ja«, sagte er und verstärkte sein Lächeln. »Ich erinnere mich an dich.«
Er ließ ihr keine Zeit, über seine Worte nachzudenken. Mit einer kaum merklichen Bewegung seiner linken Hand riss er sie zu sich heran. »Ich habe Gewalt über dein Leben«, flüsterte er, und sie konnte die Finsternis in seinem Blick sehen, die sich in Schlangenleibern auf und ab wälzte und mit tödlichen Bissen nach ihr greifen wollte. »Doch ich muss meinen Gefallen noch nicht einlösen. Grim wird mir geben, was ich will, solange ich dich habe – nicht wahr?«
Sein Lächeln schlug Mia ins Gesicht, aber es lähmte sie nicht länger. Als hätte Grims Name den Bann gebrochen, drängte sie die Dunkelheit um sich herum zurück. Sie bekam kaum Luft, doch sie erwiderte den Blick des Dämons mit aller Verachtung, derer sie fähig war.
Du bist ein Nichts ohne wirklichen Körper , zischte sie in Gedanken und sah den Zorn, der in Verus’ Augen aufflammte. Aber dafür ist er gut genug!
Und ehe er etwas hätte tun können, spuckte sie ihm ins Gesicht. Außer sich starrte er sie an, die Finsternis seiner Augen loderte auf, und sie rechnete damit, jeden Moment zu Asche verbrannt zu werden. Doch gerade, als er den Mund für einen Zauber öffnete, raste ein Schatten von hinten heran und riss ihn mit sich auf die Straße. Mia hustete und taumelte hinterher, und dort, hoch über den Dächern der Stadt, packte Seraphin den Dämon an der Kehle. Doch Verus fing sich schnell. Zornentbrannt schickte er einen blauflammenden Bannzauber in Seraphins Körper. Mit einem Schrei zog er die Maske des Bhaal an sich, und als er die Faust vorstieß, ging ein Riss durch die Luft, als hätte er eine Leinwand zerschnitten.
»Aus meinen Augen, nutzloser Hybrid!«, rief Verus. »Geh zugrunde in der Welt, die dich willkommen heißt!« Er schlug ihm einen Flammenwirbel entgegen und schleuderte Seraphin auf den Riss zu. Dieser schrie vor Schmerzen, flackernd biss das Feuer in sein Fleisch, und Mia konnte die Verzweiflung in seinem Blick sehen, als er den Kopf zurückriss und zu ihr herabschaute. Seine Gedanken waren nicht mehr als ein Flüstern, doch sie galten ihr allein.
Flieh vor ihm!
Im nächsten Moment umfing ihn der Riss und verschlang ihn, als wäre er niemals da gewesen. Mia sah noch, wie Verus herumfuhr, doch sie zögerte nicht länger. Sie riss einen Tarnzauber über ihren Körper und rannte durch die Straßen, fort, nur fort von diesem Dämon, der sie als Waffe missbrauchen wollte. In einem Torbogen nahe der
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