Grimm 2: Die Schlachtbank (German Edition)
Dämons, der sich an ihrem Elend und ihren Qualen ergötzte.
Langsam wanderte sein unmenschlicher Blick von einer Seite des Kellers zur anderen, und er musterte jeden von ihnen genau, bevor er eine Entscheidung traf. Niemand wusste, von welchen Kriterien diese abhing. Falls es einen Trick gab, wie man sich der Auswahl entziehen konnte, so hatte es niemand für nötig gehalten, diesen Gino mitzuteilen.
Einige der Gefangenen erstarrten, fast so, als würden sie sich tot stellen. Falls er ihre Schreie genoss, dann wäre der Tod eine Form der Flucht und es funktionierte eventuell auch schon, diesen nur vorzutäuschen. Andere wimmerten. Waren die Erbärmlichen es nicht wert, in Betracht gezogen zu werden? Einige lagen in Fötusstellung da und zogen sich in ihr Innerstes zurück. Sie ignorierten die Gefahr völlig in der Hoffnung, dass sie an ihnen vorübergehen würde. Mehrere wanden sich, als würden sie unter seinem Blick Schmerzen erleiden, die nur nachließen, wenn er sie nicht mehr ansah. Wenige beteten mit leiser Stimme, selbst einige, die noch geknebelt waren. Gino konnte erkennen, wer noch an eine Rettung glaubte, auch wenn er ihre Gesichter in der Dunkelheit nicht ausmachen konnte.
Gino war leise, stellte sich aber auch nicht tot, und begriff, dass er in keine dieser Kategorien passte. Er war durch seine Qualen zwar geschwächt, aber durchaus noch von Zorn und Trotz angestachelt. Aber er war kein religiöser Mensch, und obwohl er sich seines Knebels entledigt hatte, bekam er keinen Ton heraus. Am liebsten hätte er auf den Mann eingeschlagen, aber das machten seine Fesseln unmöglich. Also kniete er einfach auf dem Betonboden, die zitternden Muskeln angespannt, und richtete seinen hasserfüllten Blick gen Boden, spielte den Unterwürfigen und wich jeglichem Blickkontakt aus.
„Welches kleine Schweinchen ist das nächste?“, fragte der Mann mit seiner tiefen Stimme, die sich bereits in Ginos Albträume geschlichen hatte und daraus nicht mehr wegzudenken war.
Der Mann entfernte sich zwei Schritte von Gino und hob das Kinn einer jungen Frau mit langem, welligem Haar mit so heller Farbe, dass es das schwache Licht reflektierte, das über die Treppe nach unten drang. Gino erinnerte sich daran, dass Alice sie einmal Cherise genannt hatte.
Bis zu diesem Moment hatte sich Cherise tot gestellt, aber jetzt begann sie zu wimmern: „Bitte nicht, bitte nicht, bitte nicht …“ Dabei versuchte sie erfolglos, ihr Gesicht aus seinem grausamen Griff zu befreien.
„Lass sie in Ruhe!“
Endlich hatte Gino seine Stimme wiedergefunden.
Seine Reaktion war ein Reflex gewesen, fast schon ein väterlicher Impuls, und gleichzeitig unglaublich gefährlich unter diesen Umständen. Die junge Frau erinnerte ihn an seine Tochter, die mit ihren zwanzig Jahren gerade am College angefangen hatte und in einem Studentenwohnheim auf der anderen Seite des Landes lebte. Der flüchtige Gedanke an sie, während er hier in diesem Keller angekettet war und ihn Folter und Tod erwarteten, hatte ihn übermannt.
Der Mann schob die junge Frau weg und drehte sich zu Gino um. Die seelenlosen, hinter der Stoffhaube verborgenen Augen schienen ihn anzustarren, als würden sie ihn zum ersten Mal wahrnehmen.
„Dieses Schweinchen quiekt.“
„Fahr zur Hölle, du krankes Schwein“, brüllte Gino und schnitt eine Grimasse, als ihm die Galle in der Kehle brannte. „Je schneller, desto besser.“
Er konnte seinen Ausbruch nicht mehr rückgängig machen. Sein fünfzehnjähriger Sohn spielte ständig Videospiele, und in den meisten davon gab es Speicherpunkte, Orte im Spiel, die sich direkt vor einer schwierigen Herausforderung befanden und an denen man seinen Fortschritt speichern konnte. Wenn man sich der Gefahr stellte und starb, konnte man das Spiel vom letzten Speicherpunkt aus neu starten, ohne alles zu verlieren, was man bis dahin erreicht hatte. Dummerweise gab es im wirklichen Leben keine Speicherpunkte. Was geschehen war, war geschehen und ließ sich nicht mehr ändern. Manchmal blieb es für immer so. Einige Entscheidungen hatten fatale Konsequenzen.
Der große Mann kam auf Gino zu, griff in seine Tasche und zog einen Schlüsselring heraus.
„Du wirst vor mir zur Hölle fahren, kleines Schweinchen.“
Als sich der Mann vor ihm aufbaute, bemerkte Gino zum ersten Mal, dass er eine weiße Schürze trug, eine Metzgerschürze, die verfärbt war … nein, fleckig … voller getrockneter Blutflecken. Der Metzger ließ sich neben Gino auf ein
Weitere Kostenlose Bücher