Grimm 2: Die Schlachtbank (German Edition)
klappte das Buch zu und stand auf. Nick erhob sich ebenfalls und stellte sich vor sie.
„Das ist auf jeden Fall ein schwerer Brocken.“
„Das stimmt“, gab er zu.
„Aber …“ Sie legte ihm die Handflächen auf die Wangen. „Das ist jetzt Teil deines Lebens, Nick. Das alles gehört jetzt zu dir. Dich gibt es nur im Paket mit all dem. Und ich möchte ebenfalls Teil deines Lebens sein.“
Hoffnungsvoller, als er es seit einiger Zeit gewesen war, legte ihr Nick die Arme um die Taille. „Das möchtest du wirklich?“
Sein Leben schien fast schon wieder … normal zu sein. Gut, das neue „normal“, denn schließlich war er ein Grimm. Er hatte sich selbst erst daran gewöhnen und einiges verändern müssen, um seine eigene Natur und seine Rolle als Ausgleich zwischen den
Wesen
und den Menschen zu akzeptieren. Doch ihm blieb nichts anderes übrig, als sich den Herausforderungen einfach zu stellen, weiterzumachen und zu hoffen, dass seine Fehler, die nun mal passierten, wenn man nach der „Trial and Error“-Methode vorging und alles erst auf die Schnelle lernen musste, korrigierbar waren. Juliette hatte aufgrund ihrer Beziehung zu ihm noch einigen Kollateralschaden abbekommen, doch nun war sie wieder normal und ihr bewundernswertes altes Ich. Es fühlte sich so an, als hätten sie ein altes, fehlerhaftes Gebäude eingerissen und wären jetzt dabei, ein neues, robusteres Gebäude auf einem starken Fundament aufzubauen.
„Ja“, antwortete sie und lächelte ihn einladend an. „Das möchte ich.“
Dieses Mal küsste er sie.
K APITEL A CHT
Gino Parisi trug ein Schloss um den Hals, das mit einer dicken Eisenkette an der Wand des Kellers befestigt war. Die Kette war so kurz, dass er sich auf dem harten Zementboden hinknien, hinsetzen oder hinlegen, aber nicht stehen konnte. Er hatte jetzt seit zwei Tagen nicht mehr gestanden.
Zwei ähnlich robuste Ketten banden seine Hand- und seine Fußgelenke zusammen und hatten seine Haut aufgeschabt. Er wand sich auf dem klumpigen, verfilzten Stroh, das den Boden bedeckte, und konzentrierte sich allein darauf, den von Spucke durchnässten Knebel loszuwerden, der in seinem Mund steckte. Bis jetzt war es ihm nur gelungen, sich so fest in die Zunge und die Unterlippe zu beißen, bis es blutete. Im Verlauf der vergangenen beiden Tage –
war er wirklich schon so lange eine Geisel? In der Dunkelheit verlor man so schnell sein Zeitgefühl
– hatten sich seine Augen so weit an die Dunkelheit gewöhnt, dass er wenigstens zehn andere zusammengekauerte und eingeschüchterte Entführungsopfer erkennen konnte. Einigen waren noch immer die Augen verbunden. Er war seine Augenbinde losgeworden, indem er sein Gesicht immer wieder an der Steinwand gerieben hatte. Seit Ginos Eintreffen waren zwei seiner Mitgefangenen von ihrem Gefängniswärter fortgeschafft worden. Keiner der Zurückgebliebenen wusste, wie viel Zeit ihm noch blieb.
Eine Frau am anderen Ende des Kellers, deren Gesicht in der Dunkelheit nicht zu erkennen war, wimmerte hin und wieder vor Schmerzen, und sie wurde offensichtlich bereits länger als alle anderen hier festgehalten. Doch ihr Kampfgeist war erlahmt. Wenn sie so weit bei Sinnen war, dass sie sprechen konnte, dann berichtete sie jedem Neuankömmling – mit vor Unbehagen belegter Stimme und so, als hätte sie es auswendig gelernt –, was in den Tagen seit ihrer Entführung alles passiert war. Sie hieß Alice und behauptete, in einen Kaninchenbau gefallen zu sein. Diese Aussage wurde jedes Mal von einem trockenen Kichern begleitet, das klang, als würde sie langsam verrückt werden.
Obwohl sie von allen Überlebenden am längsten da war, schien sie das Verstreichen der Zeit nicht genau mitzubekommen. Sie glaubte, es seien schon Wochen vergangen, seitdem man sie hier festgebunden hatte, doch sie konnte nicht viel über die Personen sagen, die in den Tagen danach entführt worden waren.
„Im Dunkeln sehen wir alle gleich aus“, meinte sie dann und kicherte wieder.
Viele Tage vor Ginos Ankunft hatte sie ihren Knebel ausspucken können und geschrien, bis sie heiser war. Doch es kam keine Hilfe. Wo immer sie auch festgehalten wurden, dieser Ort war offenbar derart abgelegen, dass sie niemand retten würde. Wenn sie nicht selbst einen Fluchtweg fanden, waren sie verdammt. Gino wollte der Frau nicht glauben, befürchtete jedoch, dass sie die Wahrheit sagte.
Irgendwann zogen ihre Schreie unerwünschte Konsequenzen nach sich. Genervt von ihrem Ungehorsam, kehrte
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