Grimm 2: Die Schlachtbank (German Edition)
würde, wenn sie noch länger blieb. Außerdem kannte sie die anderen Frauen – alles enge Freundinnen der Braut – so gut wie gar nicht, mit Ausnahme von Lisa, Kims älterer Schwester.
Sie hatten zusammen die Highschool besucht, waren als beste Freundinnen zwei Jahre lang zum Mount Hood Community College gegangen, doch danach hatten sich ihre Wege getrennt. Lisa hatte ihren Wirtschaftsabschluss gemacht, geheiratet und zwei Kinder bekommen, natürlich einen Jungen und ein Mädchen. Sheila hatte sich in den Jahren danach als Immobilienmaklerin selbstständig gemacht, eine nicht funktionierende Ehe geführt und eine längst überfällige Scheidung durchgezogen.
Obwohl Sheila keinerlei Probleme mit Kim hatte, da ihre Unterhaltungen stets sehr höflich und angenehm verliefen, war sie eigentlich hauptsächlich gekommen, um Lisa endlich mal wieder zu sehen, und nicht, weil sie die anstehende Hochzeit feiern wollte. Doch als Gastgeberin der Party hatte Lisa nur wenig Zeit für Sheila gehabt, und schon bald war sich Sheila wie eine Außenseiterin vorgekommen. Die anderen hatten ihr verstohlene Blicke zugeworfen, und dann hatte sie sie auch noch flüstern gehört: „Wer ist die da noch mal?“ „Ach ja, die Freundin der Schwester.“
Als Lisa sie darüber informiert hatte, dass alle schwarz trugen und nur der Braut eine andere Farbe gestattet war – Kim trug ein fuchsiafarbenes Kleid –, hatte Sheila geglaubt, dass sie nicht weiter auffallen und nur ein weiteres Gesicht in der Menge sein würde. Doch sie hatte mit den anderen Frauen, die entweder Kolleginnen waren oder sich aufgrund des gleichen Jobs, der Mitgliedschaft im gleichen Club oder aus anderen Gründen seit Jahren kannten und die ihren eigenen Jargon pflegten, nur wenig gemeinsam. An einem anderen Abend, an dem sie nicht sorgenvoll an den Termin am nächsten Morgen denken musste, hätte sich Sheila vielleicht die Mühe gegeben, sich unter sie zu mischen, aber heute wählte sie den Weg des geringsten Widerstands.
Mit der guten Ausrede, dass sie Kopfschmerzen und einen Kundentermin am nächsten Morgen hatte, tippte sie Lisa auf die Schulter und flüsterte ihr zu, dass sie gehen wollte. Lisa schenkte ihr ein mitfühlendes Lächeln, aber das war nur eine flüchtige, fast schon oberflächliche Geste, und das Angebot, sie aus dem Restaurant zu begleiten, war schon wieder vergessen, als am Tisch erneut Heiterkeit aufkam. Also huschte Sheila unauffällig nach draußen und war deprimierenderweise davon überzeugt, dass sie niemand vermissen würde.
Auf dem Weg zur Tür holte sie ihre Leinenjacke an der Garderobe ab, überquerte dann die Straße und versuchte, sich daran zu erinnern, wo sie ihren fünf Jahre alten silbernen Camry geparkt hatte. Dann fiel ihr wieder ein, dass sie einige Blocks entfernt in einer Seitenstraße einen Parkplatz gefunden hatte. Während sie mit ihren fünf Zentimeter hohen Absätzen über den unebenen Asphalt stöckelte, war ihr ein wenig schwummrig.
Ich hätte mehr essen und weniger trinken sollen
, dachte sie.
Das Schwindelgefühl und der stärker werdende Kopfschmerz bewirkten, dass ihr die Straßen um sie herum fast schon surreal vorkamen, als hätte sie ihre Welt verlassen und wäre in eine andere gewechselt. Es war leicht neblig, und der Dunst ließ das Licht der Straßenlaternen schaurig schimmern. Sie erschauderte in der kühlen Nachtluft, doch dann fragte sie sich, ob wirklich die Kühle dafür verantwortlich gewesen war oder eher die Tatsache, dass sie auf einmal ganz alleine war. Sie griff in ihre Handtasche und holte ihren Schlüssel hervor.
In einer schmalen Seitenstraße entdeckte sie ihren Camry, der vor einem weißen Ford Econoline parkte, dessen Seite den Aufdruck „Thomas Electric“ zierte, wobei das „l“ aussah wie ein stilisierter Blitz. Als sie an dem Van vorbeiging, sah sie durch das Fenster auf der Fahrerseite. Nur ein schneller Blick, da sie die Aufmerksamkeit eines Fremden nicht auf sich ziehen wollte, wo sie sich ohnehin schon angespannt und verletzlich fühlte und ihre Welt ein wenig aus den Fugen geraten zu sein schien. Aber in dem Van saß niemand.
Sie stieß die Luft aus und merkte erst jetzt, dass sie den Atem angehalten hatte, als sie auf den Van zugegangen war.
Da die Anspannung nun verschwunden war, schalt sie sich innerlich, dass sie die Party nicht wenigstens für Geschäftszwecke genutzt hatte. Sie hätte ihre „Forrester Cade“-Immobilienmakler-Visitenkarten verteilen, um Empfehlungen
Weitere Kostenlose Bücher