Grimms Märchen, Vollständig überarbeitete und illustrierte Ausgabe speziell für digitale Lesegeräte (German Edition)
schöner Vogel, der singt so herrlich und die Sonne scheint so warm, und das riecht wie lauter Zinnamom.« (Zimt) »Mein Schwester der Marlenichen« – Da legte Marlenchen den Kopf auf die Knie und weinte in einem fort. Der Mann aber sagte: »Ich gehe hinaus; ich muss den Vogel in der Nähe sehen.«
»Ach, geh nicht«, sagte die Frau, »mir ist, als bebte das ganze Haus und stünde in Flammen.« Aber der Mann ging hinaus und sah sich den Vogel an –
»sucht alle meine Benichen,
bindt sie in ein seiden Tuch,
legt’s unter den Wacholderbaum.
Kiwitt, kiwitt, wat vör’n schöön Vagel bün ik!«
Damit liess der Vogel die goldene Kette fallen, und sie fiel dem Mann gerade um den Hals, so richtig herum, dass sie ihm ganz wunderschön passte. Da ging er herein und sagte: »Sieh, was ist das für ein schöner Vogel, hat mir eine so schöne goldene Kette geschenkt und sieht so schön aus.« Der Frau aber war so angst, dass sie lang in die Stube hinfiel und ihr die Mütze vom Kopf fiel. Da sang der Vogel wieder: »Mein Mutter der mich schlacht« – »Ach, dass ich tausend Klafter unter der Erde wäre, dass ich das nicht zu hören brauchte!«
»Mein Vater der mich ass« – Da fiel die Frau wie tot nieder. »Mein Schwester der Marlenichen« – »Ach«, sagte Marlenchen, »ich will doch auch hinausgehen und sehn, ob mir der Vogel etwas schenkt?« Da ging sie hinaus. »Sucht alle meine Benichen, bindt sie in ein seiden Tuch« – Da warf er ihr die Schuhe herunter. »Legt’s unter den Wacholderbaum. Kiwitt, kiwitt, wat vör’n schöön Vagel bün ik!«
Da war ihr so leicht und fröhlich. Sie zog sich die neuen roten Schuhe an und tanzte und sprang herein. »Ach«, sagte sie, »mir war so traurig, als ich hinausging, und nun ist mir so leicht. Das ist mal ein herrlicher Vogel, hat mir ein Paar rote Schuhe geschenkt!«
»Nein«, sagte die Frau und sprang auf, und die Haare standen ihr zu Berg wie Feuerflammen, »mir ist, als sollte die Welt untergehen; ich will auch hinaus, damit mir leichter wird.« Und als sie aus der Tür kam, bratsch! Warf ihr der Vogel den Mühlstein auf den Kopf, dass sie ganz zerquetscht wurde. Der Vater und Marlenchen hörten das und gingen hinaus. Da ging ein Dampf und Flammen und Feuer aus von der Stätte, und als das vorbei war, da stand der kleine Bruder da, und er nahm seinen Vater und Marlenchen bei der Hand und waren alle drei so recht vergnügt und gingen ins Haus, setzten sich an den Tisch und assen.
Der alte Sultan
E in Bauer hatte einen getreuen Hund, der war alt, und konnte nichts mehr fest packen. Da sagte der Bauer zu seiner Frau: »ich will den alten Sultan totschießen, er ist uns doch zu nichts mehr Nutz«, die Frau aber antwortete: »tu das nicht und lass das treue Tier das Gnadenbrod essen, es hat uns so lange Jahre gedient.«
Der Mann sagte: »du bist nicht recht gescheidt, was fangen wir mit ihm an, er hat keinen Zahn mehr im Maul, und es fürchtet sich kein Dieb mehr vor ihm; hat er uns gedient, so hat ers des Hungers wegen getan, und weil er hier gutes Fressen kriegte; morgen ist sein letzter Tag, dabei bleibts.« Der Hund hatte alles, was Mann und Frau zusammen gesprochen, mit angehört, nun hatte er einen guten Freund, das war der Wolf, zu dem ging er Abends hinaus und klagte ihm sein Leiden und daß sein Herr ihn Morgen totschießen wolle.
»Mach dir keine Sorgen«, sagte der Wolf, »ich will dir einen guten Anschlag geben: Morgen früh geht dein Herr mit seiner Frau hinaus ins Heu, da nehmen sie auch ihr kleines Kind mit, bei der Arbeit legen sie das draußen hinter die Hecke, da leg du dich daneben, als wenn du es bewachen und da ruhen wolltest; alsdann will ich kommen und das Kind wegnehmen, und du musst mir nachspringen, was du kannst, und mir es abjagen, dann werden sie glauben, du habest ihr Kind errettet, dadurch wirst du in völlige Gnade kommen und sie werden es dir an nichts fehlen lassen dein Lebelang.«
Das gefiel dem Hund gut und ward, wie es verabredet war, ausgeführt; der Wolf lief ein Stück Wegs, und als ihn der Hund eingeholt hatte, ließ er das Kind fallen, und der Hund trug es seinem Herrn zurück. Da rief der Bauer überlaut: »weil der alte Sultan unser liebes Kind dem Wolf wieder abgejagt hat, soll er leben bleiben und das Gnadenbrod haben. Frau, geh heim und koch ihm einen Weckbrei, den kann er gut hinunterschlucken, und mein Kopfkissen soll er zu seinem Bett haben, so lang er lebt.«
Also
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