Grimms Märchen, Vollständig überarbeitete und illustrierte Ausgabe speziell für digitale Lesegeräte (German Edition)
die Zweige hingen bis auf die Erde. Da bekam das jüngste Königskind ein gewaltiges Gelüst, und es sagte zu seinen Schwestern: »Unser Vater, der hat uns viel zu lieb, als daß er uns verwünschen würde; ich glaube, das sagt er nur wegen der fremden Leute.«
Und dabei pflückte das Kind einen ganz dicken Apfel ab und sprang vor seinen Schwestern her und sagte: »Ah, nun schmeckt mal, meine lieben Schwestern; nun hab ich doch mein Lebtag noch nie so was Schönes gekostet.« Da bissen die beiden andern Königstöchter auch in den Apfel, und da versanken sie alle drei tief unter die Erde, daß kein Hahn mehr nach ihnen krähte.
Als es nun Mittag wurde, da wollte sie der König zu Tische rufen; aber da waren sie nirgends zu finden. Er suchte sie überall im Schloß und Garten; aber er konnte sie nicht finden. Da wurde er sehr betrübt und ließ das ganze Land aufbieten, und der, der ihm seine Töchter wiederbrächte, der sollte eine davon zur Frau haben. Da gingen nun viele junge Leute über Feld und suchten; denn jeder hatte die drei Kinder gern gehabt, weil sie gegen jedermann so freundlich und auch so schön von Angesicht gewesen waren.
Und es zogen auch drei Jägerburschen aus, und als sie wohl an die acht Tage gewandert waren, da kamen sie in ein großes Schloß; da waren so hübsche Stuben drin, und in einem Zimmer war ein Tisch gedeckt, und darauf waren so süße Speisen, die waren noch so warm, daß sie dampften; aber in dem ganzen Schloß war kein Mensch zu hören noch zu sehen. Da warteten sie noch einen halben Tag, und die Speisen blieben immer warm und dampften; schließlich, da wurden sie so hungrig, daß sie sich dazusetzten und aßen. Und sie machten miteinander aus, sie wollten auf dem Schlosse wohnen bleiben, und sie wollten darum losen, daß einer im Hause bleiben sollte und die beiden andern die Töchter suchen sollten. Das taten sie denn; und das Los traf den ältesten.
Am andern Tag gingen die zwei jüngsten auf die Suche, und der älteste mußte zu Hause bleiben. Am Mittag kam nun so ein kleines Männchen, das bat um ein Stückchen Brot. Da nahm er von dem Brote, das er dort gefunden hatte, und schnitt ein Stück rund um das Brot weg und wollte ihm das geben. Als er es ihm nun hinreichte, da ließ es das kleine Männchen fallen und sagte, er solle doch so gut sein und es aufheben und ihm wiedergeben. Er wollte das auch tun und bückte sich; da nahm das Männchen einen Stock und packte ihn bei den Haaren und gab ihm tüchtige Schläge.
Am anderen Tag, da ist der zweite zu Hause geblieben; dem ging es um nichts besser. Als nun die beiden andern am Abend nach Hause kamen, da sagte der älteste: »Na, wie ist es denn dir ergangen?« – »Oh, mir ist es ganz schlecht gegangen.« Da klagten sie einander ihre Not; aber dem jüngsten sagten sie nichts davon, denn den konnten sie gar nicht leiden und hatten ihn immer den dummen Hans genannt, weil er nicht so recht weltklug war.
Am dritten Tag, da blieb der jüngste zu Haus; da kam das kleine Männchen wieder und hielt um ein Stückchen Brot an. Als er es ihm nun gegeben hatte, ließ er es wieder fallen und sagte, er möchte doch so gut sein und ihm das Stückchen wieder herreichen. Da sagte der dumme Hans zu dem kleinen Männchen: »Was! Kannst du das Stück nicht selber wieder aufheben? Wenn du dir nicht mal soviel Mühe um deine tägliche Nahrung geben willst, so bist du auch nicht wert, daß du es ißt.« Da wurde das Männchen böse uns sagte, er müßte es tun; der aber, nicht faul, nahm mein liebes Männchen und drosch es tüchtig durch. Da schrie das Männchen ganz laut und rief: »Hör auf, hör auf, und laß mich los; dann will ich dir auch sagen, wo die Königstöchter sind.«
Wie Hans das hörte, hielt er auf mit Schlagen, und das Männchen erzählte, er sei ein Erdmännchen, und solcher wären mehr als tausend; er solle nur mit ihm gehen, dann wolle er ihm auch zeigen, wo die Königstöchter seien. Da zeigte er ihm einen tiefen Brunnen, in dem aber kein Wasser war; und da sagte das Männchen, er wisse wohl, daß es seine Gesellen nicht ehrlich mit ihm meinten, und wenn er die Königskinder erlösen wolle, dann müsse er es alleine tun. Die beiden andern Brüder wollten wohl auch gern die Königstöchter wiederhaben, aber sie wollten sich darum keiner Mühe und Gefahr unterziehen. Zum Werk der Erlösung aber müsse er einen großen Korb nehmen, und dann müsse er sich mit seinem Hirschfänger und einer
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