Grimms Märchen, Vollständig überarbeitete und illustrierte Ausgabe speziell für digitale Lesegeräte (German Edition)
könnte!«
»Wenns weiter nichts ist«, sprach der Knecht, »der Vogel soll bald herunter sein«, legte an und traf aufs Haar, und der Vogel fiel herab in die Dornhecken. »Geh, Spitzbub«, sagte er zum Juden, »und hol dir den Vogel heraus.«
»Mein«, sprach der Jude, »lass der Herr den Bub weg, so kommt ein Hund gelaufen; ich will mir den Vogel auflesen, weil Ihr ihn doch einmal getroffen habt«, legte sich auf die Erde und fing an, sich in den Busch hineinzuarbeiten. Wie er nun mitten in dem Dorn steckte, plagte der Mutwille den guten Knecht, dass er seine Fiedel abnahm und anfing zu geigen. Gleich fing auch der Jude an die Beine zu heben und in die Höhe zu springen: und je mehr der Knecht strich, desto besser ging der Tanz. Aber die Dörner zerrissen ihm den schäbigen Rock, kämmten ihm den Ziegenbart und stachen und zwickten ihn am ganzen Leib. »Mein«, rief der Jude, »was soll mir das Geigen! Lass der Herr das Geigen, ich begehre nicht zu tanzen.« Aber der Knecht hörte nicht darauf und dachte »du hast die Leute genug geschunden, nun soll es dir die Dornhecke nicht besser machen«, und fing von neuem an zu geigen, dass der Jude immer höher aufspringen musste, und die Fetzen von seinem Rock an den Stacheln hängen blieben. »Au weih geschrien!«, rief der Jude, »geb ich doch dem Herrn, was er verlangt, wenn er nur das Geigen lässt, einen ganzen Beutel mit Gold.«
»Wenn du so spendabel bist«, sprach der Knecht, »so will ich wohl mit meiner Musik aufhören, aber das muss ich dir nachrühmen, du machst deinen Tanz noch mit, dass es eine Art hat«, nahm darauf den Beutel und ging seiner Wege.
Der Jude blieb stehen und sah ihm nach und war still, bis der Knecht weit weg und ihm ganz aus den Augen war, dann schrie er aus Leibeskräften »du miserabler Musikant, du Bierfiedler: wart, wenn ich dich allein erwische! Ich will dich jagen, dass du die Schuhsohlen verlieren sollst; du Lump, steck einen Groschen ins Maul, dass du sechs Heller wert bist«, und schimpfte weiter, was er nur losbringen konnte. Und als er sich damit etwas zugute getan und Luft gemacht hatte, lief er in die Stadt zum Richter. »Herr Richter, au weih geschrien! Seht, wie mich auf offener Landstraße ein gottloser Mensch beraubt und übel zugerichtet hat: ein Stein auf dem Erdboden möcht sich erbarmen: die Kleider zerfetzt! Der Leib zerstochen und zerkratzt! Mein bisschen Armut samt dem Beutel genommen! Lauter Dukaten, ein Stück schöner als das andere: um Gotteswillen, lasst den Menschen ins Gefängnis werfen.« Sprach der Richter »wars ein Soldat, der dich mit seinem Säbel so zugerichtet hat?«
»Gott bewahr!«, sagte der Jude, »einen nackten Degen hat er nicht gehabt, aber ein Rohr hat er gehabt auf dem Buckel hängen und eine Geige am Hals; der Bösewicht ist leicht zu erkennen.« Der Richter schickte seine Leute nach ihm aus, die fanden den guten Knecht, der ganz langsam weitergezogen war, und fanden auch den Beutel mit Gold bei ihm. Als er vor Gericht gestellt wurde, sagte er: »ich habe den Juden nicht angerührt und ihm das Geld nicht genommen, er hat es mir aus freien Stücken angeboten, damit ich nur aufhörte zu geigen, weil er meine Musik nicht vertragen konnte.«
»Gott bewahr!«, schrie der Jude, »der greift die Lügen wie Fliegen an der Wand.« Aber der Richter glaubte es auch nicht und sprach: »das ist eine schlechte Entschuldigung, das tut kein Jude«, und verurteilte den guten Knecht, weil er auf offener Straße einen Raub begangen hätte, zum Galgen. Als er aber abgeführt ward, schrie ihm noch der Jude zu: »du Bärenhäuter, du Hundemusikant, jetzt kriegst du deinen wohlverdienten Lohn.« Der Knecht stieg ganz ruhig mit dem Henker die Leiter hinauf, auf der letzten Sprosse aber drehte er sich um und sprach zum Richter »gewährt mir noch eine Bitte, eh ich sterbe.«
»Ja«, sprach der Richter, »wenn du nicht um dein Leben bittest.«
»Nicht ums Leben«, antwortete der Knecht, »ich bitte, lasst mich zu guter Letzt noch einmal auf meiner Geige spielen.« Der Jude erhob ein Zetergeschrei »um Gotteswillen, erlaubts nicht, erlaubts nicht.« Allein der Richter sprach: »warum soll ich ihm die kurze Freude nicht gönnen: es ist ihm zugestanden, und dabei soll es sein Bewenden haben.« Auch konnte er es ihm nicht abschlagen wegen der Gabe, die dem Knecht verliehen war. Der Jude aber rief: »au weih! Au weih! Bindet mich an, bindet mich fest.«
Da nahm der gute Knecht
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