Grimms Märchen, Vollständig überarbeitete und illustrierte Ausgabe speziell für digitale Lesegeräte (German Edition)
seine Geige vom Hals, legte sie zurecht, und wie er den ersten Strich tat, fing alles an zu wabern und zu wanken, der Richter, die Schreiber und die Gerichtsdiener: und der Strick fiel dem aus der Hand, der den Juden festbinden wollte: beim zweiten Strich hoben alle die Beine, und der Henker ließ den guten Knecht los und machte sich zum Tanze fertig: bei dem dritten Strich sprang alles in die Höhe und fing an zu tanzen, und der Richter und der Jude waren vorn und sprangen am besten. Bald tanzte alles mit, was auf den Markt aus Neugierde herbeigekommen war, alte und junge, dicke und magere Leute untereinander: sogar die Hunde, die mitgelaufen waren, setzten sich auf die Hinterfüße und hüpften mit.
Und je länger er spielte, desto höher sprangen die Tänzer, dass sie sich einander an die Köpfe stießen und anfingen jämmerlich zu schreien. Endlich rief der Richter ganz außer Atem »ich schenke dir dein Leben, höre nur auf zu geigen.« Der gute Knecht ließ sich bewegen, setzte die Geige ab, hing sie wieder um den Hals und stieg die Leiter herab. Da trat er zu dem Juden, der auf der Erde lag und nach Atem schnappte, und sagte: »Spitzbube, jetzt gesteh, wo du das Geld her hast, oder ich nehme meine Geige vom Hals und fange wieder an zu spielen.«
»Ich habs gestohlen, ich habs gestohlen«, schrie er, »du aber hasts redlich verdient.« Da ließ der Richter den Juden zum Galgen führen und als einen Dieb aufhängen.
Der gelernte Jäger
E s war einmal ein junger Bursch, der hatte die Schlosserhantierung gelernt und sprach zu seinem Vater, er wollte jetzt in die Welt gehen und sich versuchen. »Ja«, sagte der Vater, »das bin ich zufrieden«, und gab ihm etwas Geld auf die Reise. Also zog er herum und suchte Arbeit. Auf eine Zeit, da wollt’ ihm das Schlosserhandwerk nicht mehr folgen und stand ihm auch nicht mehr an, aber er kriegte Lust zur Jägerei.
Da begegnete ihm auf der Wanderschaft ein Jäger in grünem Kleide, der fragte, wo er herkäme und wo er hinwollte. Er wär’ ein Schlossergesell, sagte der Bursch, aber das Handwerk gefiele ihm nicht mehr, und hätte Lust zur Jägerei, ob er ihn als Lehrling annehmen wollte. »O ja, wenn du mit mir gehen willst.« Da ging der junge Bursch mit, vermietete sich etliche Jahre bei ihm und lernte die Jägerei.
Danach wollte er sich weiter versuchen, und der Jäger gab ihm nichts zum Lohn als eine Windbüchse, die hatte aber die Eigenschaft, wenn er damit einen Schuß tat, so traf er unmittelbar.
Da ging er fort und kam in einen sehr großen Wald, von dem konnte er in einem Tag das Ende nicht finden. Wie’s Abend war, setzte er sich auf einen hohen Baum, damit er aus den wilden Tieren käme. Gegen Mitternacht zu, deuchte ihn, schimmerte ein kleines Lichtchen von weitem; da sah er durch die Äste daraufhin und behielt in acht, wo es war. Doch nahm er erst noch seinen Hut und warf ihn nach dem Licht zu herunter, daß er danach gehen wollte, wann er herabgestiegen wäre, als nach einem Zeichen.
Nun kletterte er herunter, ging auf seinen Hut los, setzte ihn wieder auf und zog geradeswegs fort. Je weiter er ging, je größer ward das Licht, und wie er nahe dabei kam, sah er, daß es ein gewaltiges Feuer war, und saßen drei Riesen dabei und hatten einen Ochsen am Spieß und ließen ihn braten. Nun sprach der eine: »Ich muß doch schmecken, ob das Fleisch bald zu essen ist«, riß ein Stück herab und wollte es in den Mund stecken, aber der Jäger schoß es ihm aus der Hand. »Nun ja«, sprach der Riese, »da weht mir der Wind das Stück aus der Hand«, und nahm sich ein anderes.
Wie er eben anbeißen wollte, schoß es ihm der Jäger abermals weg; da gab der Riese dem, der neben ihm saß, eine Ohrfeige und rief zornig: »Was reißt du mir mein Stück weg?« – »Ich habe es nicht weggerissen«, sprach der andere, »es wird dir’s ein Scharfschütz weggeschossen haben.« Der Riese nahm sich das dritte Stück, konnte es aber nicht in der Hand behalten, der Jäger schoß es ihm heraus. Da sprachen die Riesen: »Das muß ein guter Schütze sein, der den Bissen vor dem Maul wegschießt, so einer wäre uns nützlich«, und riefen laut: »Komm herbei, du Scharfschütze, setze dich zu uns ans Feuer und iß dich satt, wir wollen dir nichts tun; aber kommst du nicht und wir holen dich mit Gewalt, so bist du verloren.«
Da trat der Bursch herzu und sagte, er wäre ein gelernter Jäger, und wonach er mit seiner Büchse ziele, das
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