Grimms Märchen, Vollständig überarbeitete und illustrierte Ausgabe speziell für digitale Lesegeräte (German Edition)
Lebensart unabänderlich fortgefahren, stärker, als wir, zur Veränderung geneigt, begreifen. Eben darum hat es, so vielfach bewährt, eine gewisse eindringliche Nähe und innere Tüchtigkeit zu der anderes, das äußerlich viel glänzender erscheinen kann, nicht so leicht gelangt. Der epische Grund der Volksdichtung, gleicht dem durch die ganze Natur in mannigfachen Abstufungen verbreitete Grün, das sättigt und sänftigt, ohne je zu ermüden.
Wir erhielten außer den Märchen des zweiten Bandes auch reichliche Nachträge zu dem ersten und bessere Erzählungen vieler dort gelieferten, gleichfalls aus jener, oder andern ähnlichen Quellen. Hessen hat als ein bergichtes, von großen Heerstraßen abseits liegendes, und zumeist mit dem Ackerbau beschäftigtes Land den Vorteil, daß es alte Sitten und Überlieferungen besser aufbewahren kann. Ein gewisser Ernst, eine gesunde, tüchtige und tapfere Gesinnung, die von der Geschichte nicht wird unbeachtet bleiben, selbst die große und schöne Gestalt der Männer in den Gegenden, wo der eigentliche Sitz der Chatten war, haben sich auf diese Art erhalten, und lassen den Mangel an dem Bequemen und Zierlichen, den man im Gegensatz zu andern Ländern, etwa aus Sachsen kommend, leicht bemerkt, eher als einen Gewinn betrachten. Dann empfindet man auch, daß die zwar rauheren aber oft ausgezeichnet herrlichen Gegenden, eine gewisse Strenge und Dürftigkeit der Lebensweise, zu dem Ganzen gehören, Überhaupt müssen die Hessen zu den Völkern unseres Vaterlandes gezählt werden, die am meisten, wie die alten Wohnsitze, so auch die Eigentümlichkeit ihres Wesens, durch die Veränderungen der Zeit festgehalten haben.
Was wir nun bisher für unsere Sammlung gewonnen, wollten wir bei dieser zweiten Auflage dem Buch einverleiben. Daher ist der erste Band fast ganz umgearbeitet, das Unvollständige ergänzt, manches einfacher und reiner erzählt, und nicht viel Stücke werden sich finden, die nicht gewonnen hätten. Es ist noch einmal geprüft, was verdächtig schien, d. h. was etwa hätte fremden Ursprungs oder durch Zusätze verfälscht sein können, und dann alles ausgeschieden. Dafür sind die neuen Stücke, die wir seit dem erhalten, und worunter wir auch Beiträge aus Österreich und Deutschböhmen zählen, eingerückt, so daß manches bisher ganz Unbekannte begegnen wird. Für die Anmerkungen war uns früher nur ein enger Raum gegeben, da durch die Umarbeitung das Buch anwuchs, so konnten wir für jene nun einen eigenen dritten Band bestimmen. Hierdurch ist es möglich geworden, nicht nur das, was wir früher ungern zurück behielten, mitzuteilen, sondern auch neue, hierher gehörige Abschnitte zu liefern, die, wie wir hoffen, den wissenschaftlichen Wert dieser Überlieferungen noch deutlicher machen werden.
Was die Weise betrifft in der wir gesammelt, so ist es uns zuerst auf Treue und Wahrheit angekommen. Wir haben nämlich aus eigenen Mitteln nichts hinzugesetzt, keinen Umstand und Zug der Sage selbst verschönert, sondern ihren Inhalt so wiedergegeben, wie wir ihn empfangen; daß der Ausdruck großenteils von uns herrührt, versteht sich von selbst, doch haben wir jede Eigentümlichkeit, die wir bemerkten, zu erhalten gesucht, um auch in dieser Hinsicht der Sammlung die Mannigfaltigkeit der Natur zu lassen. Jeder, der sich mit ähnlicher Arbeit befaßt, wird es übrigens begreifen, daß dies kein sorgloses und unachtsames Auffassen kann genannt werden, im Gegenteil ist Aufmerksamkeit und ein Takt nötig, der sich erst mit der Zeit erwirbt, um das Einfachere, Reinere, und doch in sich Vollkommnere, von dem Verfälschten zu unterscheiden. Verschiedene Erzählungen haben wir, sobald sie sich ergänzten, und zu ihrer Vereinigung keine Widersprüche wegzuschneiden waren, als eine mitgeteilt, wenn sie aber abwichen, wo dann jede gewöhnlich ihre eigentümlichen Züge hatte, der besten den Vorzug gegeben, und die andern für die Anmerkungen aufbewahrt. Diese Abweichungen nämlich erscheinen uns merkwürdiger, als denen, welche darin bloß Abänderungen und Entstellungen eines einmal dagewesenen Urbildes sehen, da es im Gegenteil vielleicht nur Versuche sind, einem im Geist bloß Vorhandenen, Unerschöpflichen, auf mannigfachen Wegen sich zu nähern. Wiederholungen einzelner Sätze, Züge und Einleitungen, sind wie epische Zeilen zu betrachten, die, sobald der Ton sich rührt, der sie anschlägt, immer wiederkehren, und in einem andern Sinne eigentlich nicht zu
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