Grimms Märchen, Vollständig überarbeitete und illustrierte Ausgabe speziell für digitale Lesegeräte (German Edition)
Tagen und Nächten nicht heraus brächte, der hätte sein Leben verwirkt. Nicht lange, so meldete sich ein Königssohn und erbot sich das Wagnis zu unternehmen. Er ward wohl aufgenommen, und Abends in ein Zimmer geführt, das an den Schlafsaal stieß. Sein Bett war da aufgeschlagen und er sollte Acht haben wo sie hingingen und tanzten; und damit sie nichts heimlich treiben konnten oder zu einem anderen Ort hinaus gingen, war auch die Saaltüre offen gelassen.
Dem Königssohn fiel es aber wie Blei auf die Augen und er schlief ein, und als er am Morgen aufwachte waren alle zwölfe zum Tanz gewesen, denn ihre Schuhe standen da und hatten Löcher in den Sohlen. Den zweiten und dritten Abend ging es nicht anders, und da ward ihm sein Haupt ohne Barmherzigkeit abgeschlagen. Es kamen hernach noch viele und meldeten sich zu dem Wagestück, sie mussten aber alle ihr Leben lassen. Nun trug es sich zu, dass ein armer Soldat, der eine Wunde hatte und nicht mehr dienen konnte, sich auf dem Weg nach der Stadt befand, wo der König wohnte. Da begegnete ihm eine alte Frau, die fragte ihn wo er hin wollte. »Ich weiß selber nicht recht«, sprach er, und setzte im Scherz hinzu »ich hätte wohl Lust ausfindig zu machen wo die Königstöchter ihre Schuhe vertanzen, und danach König zu werden.«
»Das ist so schwer nicht«, sagte die Alte, »du musst den Wein nicht trinken, der dir Abends gebracht wird, und musst tun als wärst du fest eingeschlafen.« Darauf gab sie ihm ein Mäntelchen und sprach: »wenn du das umhängst, so bist du unsichtbar und kannst den zwölfen dann nachschleichen.« Wie der Soldat den guten Rat bekommen hatte, wurde es ernst bei ihm, sodass er ein Herz fasste, vor den König ging und sich als Freier meldete. Er ward so gut aufgenommen wie die anderen auch, und wurden ihm königliche Kleider angetan.
Abends zur Schlafenszeit ward er in das Vorzimmer geführt, und als er zu Bette gehen wollte, kam die älteste und brachte ihm einen Becher Wein: aber er hatte sich einen Schwamm unter das Kinn gebunden, ließ den Wein da hineinlaufen, und trank keinen Tropfen. Dann legte er sich nieder, und als er ein Weilchen gelegen hatte, fing er an zu schnarchen wie im tiefsten Schlaf. Das hörten die zwölf Königstöchter, lachten, und die älteste sprach: »der hätte auch sein Leben sparen können.«
Danach standen sie auf, öffneten Schränke, Kisten und Kasten, und holten prächtige Kleider heraus: putzten sich vor den Spiegeln, sprangen herum und freuten sich auf den Tanz. Nur die jüngste sagte: »ich weiß nicht, ihr freut euch, aber mir ist so wunderlich zumute: gewiss widerfährt uns ein Unglück.«
»Du bist eine Schneegans«, sagte die älteste, »die sich immer fürchtet. Hast du vergessen wie viel Königssöhne schon umsonst da gewesen sind? Dem Soldaten hätte ich nicht einmal brauchen einen Schlaftrunk zu geben, der Lümmel wäre doch nicht aufgewacht.« Wie sie alle fertig waren, sahen sie erst nach dem Soldaten, aber der hatte die Augen zugetan, rührte und regte sich nicht, und sie glaubten nun ganz sicher zu sein. Da ging die älteste an ihr Bett und klopfte daran: alsbald sank es in die Erde, und sie stiegen durch die Öffnung hinab, eine nach der anderen, die älteste voran.
Der Soldat, der alles mit angesehen hatte, zauderte nicht lange, hing sein Mäntelchen um und stieg hinter der jüngsten mit hinab. Mitten auf der Treppe trat er ihr ein wenig aufs Kleid, da erschrak sie und rief: »was ist das? Wer hält mich am Kleid?«
»Sei nicht so einfältig«, sagte die älteste, »du bist an einem Haken hängen geblieben.« Da gingen sie vollends hinab, und wie sie unten waren, standen sie in einem wunderprächtigen Baumgang, da waren alle Blätter von Silber, und schimmerten und glänzten. Der Soldat dachte »du willst dir ein Wahrzeichen mitnehmen«, und brach einen Zweig davon ab: da fuhr ein gewaltiger Krach aus dem Baume. Die jüngste rief wieder »es ist nicht richtig, habt ihr den Knall gehört?« Die älteste aber sprach: »das sind Freudenschüsse, weil wir unsere Prinzen bald erlöst haben.« Sie kamen darauf in einen Baumgang, wo alle Blätter von Gold, und endlich in einen dritten, wo sie klarer Demant waren: von beiden brach er einen Zweig ab, wobei es jedes Mal krachte, dass die jüngste vor Schrecken zusammenfuhr: aber die älteste blieb dabei, es wären Freudenschüsse.
Sie gingen weiter und kamen zu einem großen Wasser, darauf standen zwölf
Weitere Kostenlose Bücher