Grimms Märchen, Vollständig überarbeitete und illustrierte Ausgabe speziell für digitale Lesegeräte (German Edition)
könnten sich selber ernähren. Die Jungen lagen auf der Erde und schrieen, sie müssten Hungers sterben, ihre Flügel wären noch zu klein, sie könnten noch nicht fliegen und sich etwas suchen. Da stieg er vom Pferd ab, nahm seinen Degen und stach es tot und warfs den jungen Raben hin, die kamen bald herbeigehüpft und fraßen sich satt und sagten: »wir wollen daran gedenken und es dir vergelten.«
Er ging weiter und kam in eine große Stadt, da ward bekannt gemacht, wer die Prinzessin haben wolle, der solle ausführen, was sie ihm aufgeben werde, sei er hernach nicht im Stande, habe er sein Leben verloren. Es waren aber schon viele Prinzen da gewesen, die waren alle dabei umgekommen, dass niemand sich mehr daran wagen wollte; da ließ es die Prinzessin von neuem bekannt machen.
Der Jüngling gedachte, er woll’ es wagen und meldete sich als Freier. Da ward er hinaus ans Meer geführt, und ein Ring hinabgeworfen, den sollt er wiederholen, und wenn er aus dem Wasser herauskäme ohne den Ring, werde er wieder hineingestürzt und müsse darin sterben. Wie er aber am Ufer stand, kamen die Fische, die er aus dem Rohr in das Wasser geworfen hatte, und der mittelste hatte eine Muschel im Munde, darin lag der Ring, die Muschel legte er zu seinen Füßen an den Strand. Da war der Jüngling froh, brachte dem König den Ring und verlangte die Prinzessin.
Die Prinzessin aber, als sie hörte, dass es kein Prinz sei, wollte ihn nicht, sie schüttete zehn Säcke Hirsen ins Gras: die solle er erst auflesen, dass kein Körnchen fehle, ehe die Morgensonne aufgegangen. Da kam der Ameisenkönig mit alle seinen Ameisen, die der Jüngling geschont hatte und lasen in der Nacht allen Hirsen auf, und trugen ihn in die Säcke, und vor Sonnenaufgang waren sie fertig.
Wie die Prinzessin das sah, erstaunte sie, und der Jüngling ward vor sie gebracht, und weil er schön war, gefiel er ihr, aber sie verlangte noch zum dritten, er solle ihr einen Apfel vom Baum des Lebens schaffen. Als er stand und darüber nachdachte, wie er dazu gelangen könne, da kam einer von den Raben, die er mit seinem Pferd gefüttert, und brachte den Apfel in dem Schnabel. Da ward er der Gemahl der Prinzessin und, als ihr Vater starb, König über das ganze Land.
Strohhalm, Kohle und Bohne
I n einem Dorfe wohnte eine arme alte Frau, die hatte ein Gericht Bohnen zusammengebracht und wollte sie kochen. Sie machte also auf ihrem Herd ein Feuer zurecht, und damit es desto schneller brennen sollte, zündete sie es mit einer Handvoll Stroh an. Als sie die Bohnen in den Topf schüttete, entfiel ihr unbemerkt eine, die auf dem Boden neben einen Strohhalm zu liegen kam; bald danach sprang auch eine glühende Kohle vom Herd zu den beiden herab.
Da fing der Strohhalm an und sprach: »liebe Freunde, von wannen kommt ihr her?« Die Kohle antwortete: »ich bin zu gutem Glück dem Feuer entsprungen, und hätte ich das nicht mit Gewalt durchgesetzt, so war mir der Tod gewiss: ich wäre zu Asche verbrannt.« Die Bohne sagte: »ich bin auch noch mit heiler Haut davongekommen, aber hätte mich die Alte in den Topf gebracht, ich wäre ohne Barmherzigkeit zu Brei gekocht worden, wie meine Kameraden.«
»Wäre mir denn ein besser Schicksal zuteil geworden?«, sprach das Stroh, »alle meine Brüder hat die Alte in Feuer und Rauch aufgehen lassen, sechzig hat sie auf einmal gepackt und ums Leben gebracht. Glücklicherweise bin ich ihr zwischen den Fingern durchgeschlüpft.«
»Was sollen wir aber nun anfangen?«, sprach die Kohle. »Ich meine«, antwortete die Bohne, »weil wir so glücklich dem Tode entronnen sind, so wollen wir uns als gute Gesellen zusammenhalten und, damit uns hier nicht wieder ein neues Unglück ereilt, gemeinschaftlich auswandern und in ein fremdes Land ziehen.«
Der Vorschlag gefiel den beiden andern, und sie machten sich miteinander auf den Weg. Bald aber kamen sie an einen kleinen Bach, und da keine Brücke oder Steg da war, so wussten sie nicht, wie sie hinüberkommen sollten. Der Strohhalm fand guten Rat und sprach: »ich will mich querüber legen, so könnt ihr auf mir wie auf einer Brücke hinübergehen.« Der Strohhalm streckte sich also von einem Ufer zum andern, und die Kohle, die von hitziger Natur war, trippelte auch ganz keck auf die neugebaute Brücke. Als sie aber in die Mitte gekommen war und unter ihr das Wasser rauschen hörte, ward ihr doch angst: sie blieb stehen und getraute sich nicht
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