Grippe
schaute ihm in die Augen. Pat wusste, dass er bereit gewesen wäre, sein Leben für ihn zu opfern. Nie zuvor hatte sein Sohn ihn so stolz gemacht wie an jenem Tag.
Damals ging Pat ohne Murren nach unten; dass es auch diesmal wieder so still verlaufen würde, bezweifelte er. Er hatte gesehen, wozu diese Bastarde während der letzten Tage im Zuge der Quarantäne fähig gewesen waren. Wie Wolfsrudel hatten sie die Menschen eingekesselt und dann in ihre sogenannten Rettungslager verschleppt, wo angeblich Heilmittel beziehungsweise Vorbeugeimpfungen auf sie warteten. Natürlich war das alles gelogen: Nur der Tod empfing sie. Weder den Cops noch Vertretern der Regierung hatte er je getraut, und so würde er es auch weiter halten.
Karen wollte zur Tür treten. Ihr junges, unschuldiges Gesicht strahlte vor Aufregung, doch Pat kam ihr zuvor und streckte den Arm aus, um sie am Gehen zu hindern.
»Tu das nicht«, mahnte er.
»Was meinst du damit?« Scheinbar stellte sie sich dumm. Was gab es da nicht zu verstehen? »Wenn die schon da draußen sind, müssen wir uns bemerkbar machen.«
»Die interessieren sich nicht für dich«, brauste er auf, da sein Ärger zunahm. »Wir verhalten uns ruhig und warten, bis sie sich verziehen.«
»Was redest du da?« Karen packte seinen Arm, damit sie die Tür öffnen konnte.
» Ich rede von dem, was du nicht mitbekommen hast, als dein Kopf im Sand steckte!« Pat stand sichtlich am Rande des Kontrollverlusts, erneut untypisch für ihn. »Quarantäne. Todeslager. Hinrichtungen. Weißt du wirklich gar nichts von alledem?« Es war nicht unwahrscheinlich, dass sie es tat, aber weshalb auch immer verdrängte. Nun vor dem Landrover hatte sie erneut ihre rosarote Brille aufgesetzt, und vielleicht, so dachte Pat, musste sie sich einfach so verhalten, wenn auch nicht für sich selbst, sondern wegen des Kindes.
»Lass mich vorbei!«, schrie sie. Dann trommelte sie mit den Fäusten gegen seine Brust, aber Pat packte sie grob und versetzte ihr eine Ohrfeige, so wie man es aus Filmen kannte, wenn Männer hysterische Frauen zur Raison brachten. Sie schrie ihn an, während sie regelrechte Sturzbäche weinte. Obwohl er sich sofort schlecht fühlte, konnte er nicht von seiner Haltung abrücken. Sie musste sich vor ihm fürchten, weil er umgekehrt darauf angewiesen war, dass sie ihm gehorchte. Das war wichtig; nicht nur ihr Leben oder das des Mädchens stand vor dem Pranger, sondern auch sein eigenes.
Das Wohl aller …
Als sie sich wieder an der Tür zu schaffen machte, schlug er zum zweiten Mal zu. Sie fiel vor den Küchentisch und stieß dabei mit dem Kopf gegen die Kante. Die Kleine weinte nun ebenfalls, was wie eine Begleitung zu Karens Wehgeschrei anmutete, die am Boden saß und sich den Schädel rieb. Heilloser Lärm war losgebrochen, und Blut strömte aus der Wunde an Karens Kopf zwischen ihren Fingern hindurch. Als Pat danach schauen wollte, erhob sie sich ruckartig.
»D-die sind unseretwegen gekommen«, sagte sie mit stockendem Atem. »Die wissen, wie wichtig das Kind ist. Sie gibt uns Antworten, Pat. In ihrem Blut steckt die Heilung. Das weißt du so gut wie ich!«
»Ich wünschte, das wäre wahr!« Er sprach laut, brüllte aber nicht. »Ist es aber nicht! Bei Gott, nicht einmal annähernd! Du hast keine Ahnung davon, was sie tun werden, wenn sie die Kleine in die Finger –«
»Die helfen ihr!«, behauptete Karen. »Die helfen ihr und auch allen anderen! Siehst du das nicht? Wie kann man nur so blind sein?«
Das Mädchen trat zur Tür. Der Streit ging ihr zu nahe. Karen wollte ihr folgen, doch Pat hielt sie wieder auf. Da schnappte sie sich die Pistole auf dem Tisch und richtete sie auf ihn, als er näherkam. Instinktiv wollte er danach greifen und sie ihr entreißen, doch Karen feuerte, ehe er dazu kam. Die Kugel zerfetzte ihm den Hals aus kürzester Distanz.
Pat sackte zusammen und fasste sich an die offene Kehle. Sein Körper zuckte krampfartig, Blut spritzte im weiten Bogen aus der Halsschlagader. Ihm wurde schwarz vor Augen, sein Herz klopfte bereits schwächer, so schnell wich das Leben aus ihm. Er konnte nicht fassen, was sie getan hatte, war schockiert von der Wunde an seinem Hals und dem Blut, das herausquoll, schockiert von der früheren Kindfrau, die jetzt eine rauchende Pistole in der Hand hielt ...
mit Dreizehn hatte er einen Revolver geladen.
Tief in ihm allerdings, begraben unter dem emotionalen Wust in seinem dahinscheidenden Herzen, war er stolz – stolz darauf, dass
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