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Grischa: Der allzu schlaue Fuchs: Ein Märchen aus Rawka (German Edition)

Grischa: Der allzu schlaue Fuchs: Ein Märchen aus Rawka (German Edition)

Titel: Grischa: Der allzu schlaue Fuchs: Ein Märchen aus Rawka (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leigh Bardugo
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Gostow war vielleicht ungehobelt, auf seine Art aber so etwas wie der König der Wälder gewesen, ein tödlicher Gegner, ob für Mensch oder Tier. Wie hatte Jurek ihn so problemlos töten können?
    Koja beobachtete den Jäger während der folgenden drei Nächte, fand jedoch nichts heraus.
    Jurek aß jeden Abend ein großes Mahl. Er ging in eine der Schenken und kehrte erst in den frühen Morgenstunden heim. Er trank und prahlte gern und kleckerte immer wieder Wein auf seine Kleider. Er schlief stets bis zum späten Vormittag, und nachdem er dann aufgestanden war, ging er entweder zum Schuppen der Gerber oder in den Wald. Jurek stellte Fallen auf, schwamm im Fluss und ölte seine Flinte, aber zu Kojas Verwunderung fing oder erlegte er kein einziges Tier.
    Trotzdem trat Jurek am vierten Tag mit einer schweren Last aus dem Schuppen der Gerber und spannte das Fell des großen, grauen Wolfes auf die Holzrahmen. Den Namen des grauen Wolfes hatte niemand gekannt oder hatte es jemals gewagt, sich danach zu erkundigen. Er hatte einsam und allein auf einem steilen Felshang gelebt. Wie man munkelte, war er wegen eines schrecklichen Verbrechens aus seinem Rudel verstoßen worden. Wenn er in das Tal hinabstieg, dann nur, um zu jagen. Lautlos wie Rauch glitt er zwischen den Bäumen hindurch. Und doch hatte Jurek irgendwie sein Fell erbeuten können.
    An diesem Abend bestellte der Jäger Musikanten in sein Haus. Die Städter bestaunten das Wolfsfell und Jurek bat seine Schwester, sich von ihrem Platz am Feuer zu erheben, um ihr den grausigen Mantel aus zusammengenähten Fellen über die Schultern legen zu können. Die Gäste zeigten der Reihe nach auf die verschiedenen Felle, und auf ihre Bitten hin erzählte Jurek, wie er Illarion, den Eisbären aus dem Hohen Norden, zur Strecke gebracht und die zwei goldenen Luchse gefangen hatte, deren Fell die Ärmelaufschläge schmückte. Er schilderte sogar den Fang der sieben kleinen Füchse, aus deren Schwänzen der prächtige Mantelkragen bestand. Und mit jedem Wort, das Jurek sprach, ließ seine Schwester den Kopf tiefer hängen, bis sie schließlich den Fußboden anstarrte.
    Koja beobachtete, wie der Jäger nach draußen ging und den Kopf von dem Wolfsfell schnitt, und während die Gäste tranken und tanzten, saß Jureks Schwester da und nähte den Kopf zu einer Kapuze für ihren grausigen Mantel um. Als ein Musikant die Trommel schlug, stach sie sich mit der Nadel. Sie zuckte zusammen und lutschte den Finger ab.
    Was tut ein wenig mehr Blut zur Sache? , dachte Koja. Der Mantel müsste eigentlich schon davon durchtränkt sein.
    »Sofija ist die Lösung«, erzählte Koja den Tieren am folgenden Tag. »Jurek benutzt einen Zauber oder Trick, und seine Schwester muss davon wissen.«
    »Warum sollte sie uns seine Geheimnisse verraten?«, fragte der Dachs.
    »Sie fürchtet ihn. Sie wechseln kaum ein Wort miteinander, und sie achtet stets darauf, ihm nicht zu nahe zu sein.«
    »Außerdem sperrt sie jeden Abend ihre Schlafzimmertür zu«, trillerte die Nachtigall, »zum Schutz vor ihrem Bruder. Da ist etwas faul.«
    Sofija durfte das Haus nur alle paar Tage verlassen. Dann besuchte sie das Witwenheim am anderen Ende des Tals. Sie nahm einen Korb mit, zog auch manchmal einen Schlitten hinter sich her, schwer beladen mit Fellen und Vorräten, die sie in Wolldecken gehüllt hatte. Sie trug stets den grausigen Mantel, und wenn Koja sah, wie sie sich dahinschleppte, musste er an eine Pilgerin denken, die unterwegs war, um Buße zu tun.
    Anfangs schritt Sofija gleichmäßig aus und blieb auf dem Pfad. Aber auf einer kleinen Lichtung, weit vom Stadtrand entfernt und von tiefer Schneestille erfüllt, blieb sie stehen. Dort sank sie auf den Stamm eines umgestürzten Baumes, schlug die Hände vor das Gesicht und weinte.
    Der Fuchs schämte sich plötzlich dafür, sie heimlich zu beobachten, aber er ahnte auch, dass dies eine einmalige Gelegenheit war. Also sprang er lautlos bis zum anderen Ende des Baumstamms und fragte: »Warum weinst du, Mädchen?«
    Sofija erschrak. Ihre Augen waren gerötet, ihre blasse Haut war fleckig und sie trug die entsetzliche Wolfskapuze, aber sie war trotzdem schön. Sie wandte den Kopf und kaute mit ihren ebenmäßigen Zähnen auf der Unterlippe. »Du verschwindest besser, Fuchs«, sagte sie. »Hier bist du in Gefahr.«
    »Ich bin in Gefahr, seit ich schreiend aus dem Schoß meiner Mutter geschlüpft bin.«
    Sie schüttelte den Kopf. »Du begreifst nicht. Mein

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